Tegernseer Seilschaften
schauen Sie jetzt so?«, fragte Anne irritiert.
»Ach, nix«, antwortete Kastner hastig.
»Doch, da ist doch was!«
»Ach nein«, verteidigte er sich. Sie hatte ihn ertappt.
»Was ist?«, fragte Anne jetzt sehr streng.
»Ich habe mir nur ⦠weil Sie ⦠also, hähm, ich tätâ gern, Sie â¦Â«
In diesem Moment spürte sie einen Luftzug, und praktisch lautlos â lediglich begleitet von einem leisen Knurren â kam Nonnenmacher in den Raum geglitten, was angesichts seiner Körperfülle schon fast an ein Wunder grenzte.
»Morgen die Kollegin, morgen der Kollege«, nickte er den beiden zu. »Was gibtâs Neues?«
»Der Fichtner hatte wahrscheinlich eine Geliebte oder ging ins Bordell«, berichtete Anne.
»Was? Der Ferdl?«, rief Nonnenmacher und musste laut lachen. »Der Ferdl im Puff! Haha! Mit Verlaub, Frau Kollegin, das kann sich nur eine Frau ausdenken, die wo in München Dienst getan hat! Der Ferdl wäre vielleicht schon gern mal mit einer Horizontalen intim geworden, aber das hättâ er nie gemacht, weil dazu war der viel zu sparsam. Also da gebe ich Ihnen Brief und Siegel drauf: Der Ferdl wäre nie im Leben nicht in einen Puff gegangen!« Bei seinen letzten Worten hatte er die Jagd nach einer Fliege aufgenommen, die er nun mit groÃen Schritten und bloÃer Hand zu erlegen versuchte.
Aber so leicht lieà Anne sich nicht von ihrer Theorie abbringen, zumal Nonnenmacher ihrer Meinung nach mit seinem tollen Einheimischenwissen schon einmal falschgelegen hatte. Deshalb sagte sie gelassen und ohne sich von Nonnenmachers übertriebenem Gefuchtel irritieren zu lassen: »Dann hatte er eben eine Freundin, die ihn viel Geld gekostet hat. Von den Konten der Familie sind in der letzten Zeit nämlich hohe Geldbeträge verschwunden. Er selbst hat das Geld abgehoben. Und seine Frau weià nicht, was er damit gemacht hat. AuÃerdem war er oft stunden- und halbtagesweise weg, mit der Begründung, er müsse Geschäfte machen. Allerdings sind Frau Fichtner keinerlei Geschäfte bekannt, die er in dieser Zeit getätigt haben könnte.«
Sepp Kastner nickte eifrig, obwohl er das Gespräch nur am Rande mitbekommen hatte, denn unterdessen hatte er beschlossen, Anne zum Mittagessen in den McDonaldâs von Rottach-Egern einzuladen. Er hatte alles durchgerechnet. Seinetwegen konnte sie sich auch ein Maximenü bestellen, obwohl zwischen ihnen beiden ja eigentlich noch nichts klar war, aber dieses Risiko musste ein Mann, wenn er eine solche Topfrau auf dem Schirm hatte, schon eingehen. Das war letztlich auch eine Investition in die Zukunft.
»Was nickstân so blöd?«, fuhr Nonnenmacher ihn jetzt gereizt an, nachdem er die mit einem Flachhandschlag betäubte Fliege endgültig an die Fensterscheibe gedrückt hatte.
»Ich glaubâ auch, dass der Fichtner das viele Geld für eine Frau gebraucht hat«, stotterte Kastner überrumpelt. »Topfrauen kosten ja so was von Geld â¦Â«
»â¦Â sagt der Casanova von Tegernsee«, vollendete Nonnenmacher mit von Ironie getragener Stimme und schnippte den Fliegenkadaver, den er auf seinem Zeigefinger vom Fenster zum Tisch getragen hatte, in den Papierkorb.
»Wenn ich die Herren kurz aus ihren Ãberlegungen zu Frauen und Geld reiÃen dürfte â¦Â«, klinkte sich Anne wieder in das Gespräch ein, das sie selbst als höchst albern empfand. »Mir ist nämlich an diesen Fotos von der Leiche etwas aufgefallen. Schauen Sie mal, wie der linke Hosenträger verläuft. Ist das in Tegernsee Tradition, dass Männer einen ihrer Hosenträger durch den Schritt laufen lassen?«
Jetzt war es so still im Raum, dass man den Kollegen unten im Vorraum mit einer Touristin diskutieren hören konnte, die sich darüber aufregte, dass ein Bauer aus Rottach-Egern im Vorbeifahren ihr BMW -Cabrio mit Gülle bespritzt habe. »Das war doch sicher nur ein Versehen, also Vorsatz gleich null«, schrie der verzweifelte Kollege, »da brauchtâs doch keine Anzeige! AuÃerdem sehe ich weit und breit keine Sachbeschädigung, Frau Doktor Eschwald, das ist doch bloà Dreck, hundsgewöhnlicher Dreck â¦Â«
Die drei im Dienstzimmer starrten immer noch auf die Fotos. »Das ist uns gar nicht aufgefallen, gell, Kurt?«, sagte Kastner zu seinem Chef. Nonnenmacher sagte gar nichts. Er dachte an das kühle
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