Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
Feierabend, doch ihre Chefin saß noch an ihrem Schreibtisch. Allerdings schien sie nicht mit wichtigen Aufgaben beschäftigt, sondern starrte aus dem Fenster hinaus. Als sie das Klopfen hörte, riss sie sich hastig aus der Versunkenheit und räumte ein paar Blätter Papier zur Seite, als wären sie sehr wichtig und nicht für jedermanns Anblick bestimmt.
„Was wollen Sie?“, fragte sie im Tonfall, der höchst wegweisende Beschäftigung andeuten sollte.
„Ich wollte Ihnen für Ihre Hilfe heute danken“, erwiderte Kiara mit einem einnehmenden Lächeln. „Gerade eben und vor allem wegen der Rücknahme der Kündigung.“
Myrtel winkte ab, doch Kiara war noch nicht fertig mit ihrer Ansprache. „Vielleicht haben Sie Lust auf einen Cocktail? Ich kenne eine Bar nicht weit von hier, die serviert um diese Uhrzeit zur Happy Hour die besten Drinks.“
Myrtel zog eine Augenbraue nach oben, als würde sie an Kiaras Verstand zweifeln.
„Sie wollen mich auf einen Drink einladen?“, fragte sie ungläubig nach. „Sind Sie sicher?“
Kiara nickte. „Ja.“
Myrtel presste die Lippen zusammen, während sie überlegte, ob sie die Einladung annehmen sollte. Irgendetwas kam ihr seltsam vor daran. Wollte sich die Neue unbedingt bei ihr einschmeicheln, weil sie Angst um ihren Job hatte? Oder weil sie einsam war? Sie konnte den Finger nicht darauflegen, aber etwas daran schien nicht ganz koscher. Aber vielleicht meinte Kiara es wirklich ehrlich. Und was auch immer die Gründe ihrer Mitarbeiterin waren – Myrtel konnte auf jeden Fall schon wieder einen Drink vertragen. Und der Gedanke an ihre einsame Wohnung behagte ihr ganz und gar nicht.
Sie nickte. „Gut. Einen Cocktail. Das heißt aber nicht, dass wir danach dicke Freundinnen werden“, fügte sie schnell einschränkend hinzu.
Kiara lächelte. „Nur wenn Sie wollen.“
Myrtel stand auf. „Bestimmt nicht. Gut, dann gehen wir. Ich habe hier nichts mehr zu tun.“
V
Die Männer in den blauen Uniformen schienen begriffsstutzig zu sein. Samira hatte den amerikanischen Polizisten nun schon zum vierten Mal erklärt, was vorgefallen war, doch die Cops unternahmen nichts.
„Ich war am Rodeo Drive“, erklärte sie erneut in ihrem bruchstückhaften Englisch. „Dann komme ich wieder und das Zimmer ist leer.“
„Völlig ausgeplündert“, ergänzte einer der beiden Männer. Er war um die Dreißig und trug sein dunkles, von blonden Strähnen durchzogenes Haar mit Hilfe von viel Gel eng am Kopf klebend. Seine himmelblauen Augen musterten Kiara gelangweilt. Er sah aus wie ein Surfer, den man in eine Polizeiuniform gezwängt, aber der überhaupt keine Lust auf diesen Job hatte und lieber am Strand wäre.
„Ja, es wurde alles gestohlen“, wiederholte Samira. Als sie in ihr Motelzimmer gekommen war, hatte sie fast der Schlag getroffen. Ihre Koffer und Taschen waren leer, nur ein paar einzelne Kleidungsstücke lagen noch herum, der Rest fehlte. Ihre ganze Habe waren verschwunden, ihre Kreditkarte, das Bargeld gestohlen. Die Diebe hatten nur ein paar wertlose Pullover und Socken dagelassen. Sogar ihre Unterwäsche hatten sie mitgenommen. Samiras Hände zitterten, als sie den Polizisten erneut aufzählte, was fehlte. Der zweite der beiden, ein älterer Kerl mit kurzem grauem Haar, das liederlich auf seinem Kopf lag, machte sich Notizen, doch Samira hatte das Gefühl, dass er nur Strichmännchen zeichnete.
„Schreiben Sie das auf?“, fragte sie und versuchte, einen Blick auf seinen Block zu erhaschen, doch der jüngere der beiden Cops hielt sie zurück.
„Bitte, ma‘am, bleiben Sie zurück und lassen Sie uns unsere Arbeit machen“, mahnte er.
„Aber dann machen Sie doch etwas!“, rief sie verzweifelt. „Müssen nicht Spuren gesichert werden? CSI? Verstehen Sie mich? CSI?“
Der Polizist verzog den Mund zu einem amüsierten Lächeln. „CSI gibt es nur im Fernsehen, in der Realität sieht das anders aus, da heißt es auch anders. Aber ich kann Sie beruhigen. Die Spurensicherung wird später sicherlich auch noch kommen, deshalb fassen Sie lieber nichts an. Wo können Sie unterkommen?“
„Nirgends. Ich kann nicht mal ein neues Hotelzimmer nehmen, wenn ich kein Geld habe.“ Samira begann zu schluchzen. Sie fühlte sich so elend, so unendlich müde und verzweifelt, und sie hatte keine Ahnung, wie sie diesen Schock überstehen sollte. Sie konnte sich nicht einmal an die Agentur wenden, da die nicht für sie verantwortlich schien.
Erneut wählte sie die
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