Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
an der Bande und beobachtete das Spiel seines Freundes Lionel Grayse, den er am gestrigen Abend im Restaurant in Manhattan getroffen hatte, wo Jack mit seiner Mutter zu Abend gegessen hatte. Lionel hatte ihn zum Training eingeladen – und natürlich zum Spiel am Abend, das gegen die Stars der Texas Rangers stattfinden würde, einem der besten Teams der Welt.
Jack hatte gern zugesagt, und nun beobachtete er die Männer des Teams beim Baseball. Lionel war ein hervorragender Spieler, er warf den Ball kraftvoll und extrem zielgenau. Auch seine Mannschaftskollegen wirkten erstklassig trainiert.
„Na, das ist was anderes als Leichtathletik“, grinste Lionel, als er sich in der Trainingspause neben den Freund stellte. „Hier sind neben der Athletik auch Spielsinn und Präzision gefragt.“
Jack nickte. „Es sieht so leicht aus, den Ball auf diese Art zu werfen und, vor allem, ihn mit dem dünnen Schläger zu treffen, aber ich nehme mal an, es ist verdammt schwer.“
Lionel lachte. „Oh ja, das ist es. Willst du es mal versuchen?“
Jack überlegte nicht lange. „Natürlich! Gern!“ Er lief mit einem leichten Humpeln aufs Feld, wo ihm der Spieler im Infield einen Ball reichte. Gegenüber von Jack machte sich ein anderer mit einem Schläger bereit zum Parieren.
„Los, Jack, wirf ihm den Ball um die Ohren!“, rief Lionel.
„Ich werde ihm den Ball zurückpfeffern, dass er nicht mehr weiß, wo oben und unten ist“, erwiderte der Mann mit dem Schläger.
Jack schmunzelte und holte aus. Er fixierte seinen Blick auf den Schläger, der wie ein Monument in seinem Bereich stand und konzentriert wartete. Zu Jacks regelmäßigem Training gehörten Speerwerfen und Kugelstoßen, daher war er sich sicher, dass er jetzt nicht allzu schlecht abschneiden würde.
„Jetzt, Jack!“, rief Lionel.
Von den Rängen jubelten auch ein paar Fans. „Jack! Jack! Jack!“, riefen sie und trommelten mit den Händen auf die Tribüne.
Jetzt. Jack warf den Ball mit ganzer Kraft auf den Gegner zu, der ihn mit wohldosierter Lässigkeit in den Stadionhimmel schlug. Würde er tatsächlich zur gegnerischen Mannschaft gehören, hätte die jetzt alle Zeit der Welt, jede Menge Punkte zu machen. Jack würde alt aussehen.
„Das war nicht schlecht für einen Anfänger“, rief Lionel lachend.
„Wie meine Schwester“, spottete ein weiterer Spieler und klopfte Jack freundschaftlich auf die Schulter.
Jack trat knurrend zurück. Sein Bein schmerzte durch die Belastung. „Wahrscheinlich bin ich besser beim Schlagen“, sagte er und hinkte zum Schlagbereich.
Der Spieler gab ihm grinsend seinen Schläger. „Viel Glück“, wünschte er Jack. Der nahm den Schläger fest in die Hand und fixierte seinen Blick nun auf den Ball, der in der Hand des Gegners lag. Er wusste, dass die Jungs verschiedene Wurftechniken draufhatten, mit Spin und Effet, so dass es schwer sein würde, den Ball zu treffen. Er musste sich genau konzentrieren.
Der Spieler warf, Jack holte aus – und traf tatsächlich. Der Ball flog weit und hoch.
„Jack, jetzt musst du laufen!“, rief Lionel. Und für einen Moment vergaß Jack seine gesundheitlichen Schwierigkeiten. Oder er wollte sie vergessen. Vielleicht war es auch ein Versuch, ein Test, ob seine Probleme wirklich so schwerwiegend waren, dass sein Leben deswegen aus allen Fugen geriet. Er verbiss sich den Schmerz und lief los. Wenn er es jetzt schaffte, war vielleicht doch nicht alles verloren.
Er kam nicht weit. Er lief etwa zwanzig Meter, danach waren die Schmerzen in seinem Bein so stark, dass es seinen Dienst verweigerte. Jack strauchelte und ging zu Boden.
Wütend und enttäuscht schlug er mit der Faust auf das Gras. Der Schmerz pochte und hämmerte in seinem Oberschenkel, die Enttäuschung legte sich wie ein monströser Steinbrocken auf sein Herz, so dass er am liebsten geschrien hätte. Er biss jedoch nur die Zähne zusammen und stand mühsam auf, ohne sein Bein zu sehr zu belasten.
„Alles in Ordnung, Jack?“, fragte Lionel besorgt und kam eilig zu ihm gelaufen.
„Ja, alles bestens“, murmelte Jack und schob den Freund zur Seite, während er auf den Ausgang zusteuerte. Nun hatte er den Beweis. Er war definitiv am Ende. Sein Vater würde ihn verachten und abschieben, seine Mutter würde versuchen, ihm ihren Willen aufzuzwingen. Er hatte nichts mehr, womit er glänzen konnte, nichts mehr, worin er einzigartig war.
Innerlich fluchend und verbittert hinkte er an den Fans vorbei. Einige starrten ihn wortlos
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