Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
an, ein paar andere begannen, ihn zu verhöhnen.
„Buh!“, rief ein älterer Mann in einem ausgewaschenen Trikot, das so aussah, als würde er es Tag und Nacht tragen. „Geh nach Hause!“
„Buhuh“, schloss sich ein anderer an, in der Hand eine Bierflasche haltend. Er hängte sogar einen verächtlichen Pfiff an.
In diesem Augenblick schnappte Jack über. Der Fan hatte sich über die Bande gebeugt, um Jack seine Verachtung besonders deutlich nahezubringen. Da ergriff der Sportler den Kragen des Mannes und zog den Kerl zu sich herunter. Es geschah so schnell, dass dessen Kumpels nicht rechtzeitig reagieren konnten. Auch die Baseballer rührten sich nicht. Fassungslos sahen alle zu, wie Jack auf den Fan einschlug. Er schien kaum zu merken, was er tat. Tränen liefen über sein Gesicht, als er seine Wut, Enttäuschung und Verbitterung aus sich herausließ. Erst als er sah, dass der Mann blutend zu Boden gesunken war, hielt er inne.
Jemand rief entsetzt: „Ruft einen Krankenwagen! Ruft die Polizei!“
XII
Über Myrtels Fernsehbildschirm flimmerte eine Kochsendung. Irgendein Möchtegern-Promi versuchte sich an einem exotischen Gericht ohne Fleisch. Seiner Miene nach zu urteilen hätte er lieber deutsche Hausmannskost zubereitet, Eisbein oder Schnitzel mit Pommes. Aber das konnte er sich offensichtlich nicht aussuchen.
Myrtel gähnte herzhaft und dachte an den Tag zurück. Er war angenehm gewesen, viel besser als in den Wochen zuvor. Sie hatte heute keinen Stress mit den Kunden gehabt und verspürte sogar wieder Freude bei der Arbeit. Kiara hatte ihr den richtigen Rat gegeben – sie musste die letzte Zeit ihres Lebens glücklich genießen. Sie räkelte sich auf dem Sofa und schmunzelte bei dem Gedanken an Felix und Yvonne. Die beiden würden wunderbar zusammenpassen. Dass sie bei dem Date dabei sein sollte, gefiel ihr allerdings immer weniger, je länger sie darüber nachdachte. Woher sollte sie in aller Eile einen Mann auftreiben, der ihr dabei Gesellschaft leisten würde? Sollte sie sich in einer Bar ein Opfer anlachen? Oder eine Anzeige aufgeben? Suche Mann für ein einmaliges Date, gerne aber auch für mehr. Sie kicherte leise. Sollte sie es, wie Kiara vorgeschlagen hatte, tatsächlich wagen, noch einmal zu flirten und mit Männern auszugehen? Vielleicht sogar Sex zu haben?
Sie schaute auf den Fernseher, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Denn in diesem Moment erinnerte sie sich an die Werbepause während der Kochshow. Ein Internet-Portal, das Rendezvous vermittelte, hatte für sich geworben. Myrtel war mit einem Schlag wieder hellwach. Auf diese Weise konnte sie ganz unauffällig ausloten, wie ihre Chancen auf dem Markt standen!
Sie sprang auf und eilte zu dem kleinen Computer auf dem unbenutzten Schreibtisch in ihrem Arbeitszimmer. Während das Gerät hochfuhr, zappelte sie unruhig hin und her und überlegte, wie die Internetadresse des Dating-Portals hieß. Sie fiel ihr nicht ein. Doch als sie den Begriff in der Suchmaschine eingab, erschienen unzählige Online-Partnervermittlungen. Sie wählte die aus, die ganz oben erschien. Mehr als hunderttausend Männer sollten dort registriert sein. Das klang überzeugend.
Sie durchlief die erste Anmeldung und legte ihren Usernamen für das Portal fest. „Fesche-Lola123“ nannte sie sich. Doch bei ihrem Geburtsdatum zögerte sie. Würden die Männer wirklich auf eine 48-Jährige abfahren? Wenn sie keinen senilen Rentner und Schlaganfall-Patienten abgreifen wollte, musste sie mit ihrem Alter ein bisschen schummeln. Nur ein ganz kleines bisschen.
Schließlich wurden es dann doch zehn Jahre. Myrtel war einfach keine Frau für halbe Sachen. Stück für Stück füllte sie ihr Profil aus, wobei sie nur bei Kleinigkeiten ein wenig übertrieb. Ihre Krankheit verschwieg sie jedoch völlig. Dann lud sie noch ein Foto von sich hoch, das aus besseren Zeiten stammte, von einem Wochenende an der Ostsee mit Dieter.
Kaum war das alles erledigt, konnte es losgehen. Bevor sie sich die ersten Kandidaten ansah, die ihr vom Portal vorgeschlagen wurden, stand Myrtel schnell noch einmal auf und füllte ihr leeres Glas mit Wein. Dann klickte sie einen nach dem anderen an. Der eine war zu dick, der andere zu klein, der dritte sah aus wie Dieter. Einer war definitiv zu jung, ein anderer zu alt, wieder einer ein Abklatsch von Hugh Hefner. Es gab kaum einen, der ihr gefiel. Doch sie gab nicht auf. Die Zeit verging, doch sie merkte es nicht. Nebenan im Wohnzimmer hatte der
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