Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
ihre Haut spannte von der trockenen Luft über den Wolken, und sie sehnte sich nach einer ausgiebigen Dusche samt Zähneputzen.
Sie fuhr mit der Hand durch ihr Haar, zupfte sich den Kragen ihres Shirts zurecht, dann zog sie ihre Schultern zurück, um die richtige Modelstatur zu erreichen, wie sie es mal in einem Video gesehen und einstudiert hatte, packte ihre vielen Taschen und Koffer und lief auf das Haus zu.
Doch sie kam nicht weit. Ein Portier vor der verschlossenen Tür hielt sie auf. Der große Mann sah Samira mit ernstem Gesicht und zusammengezogenen Augenbrauen an.
„Zu wem wollen Sie?“, fragte er kühl und ruhig.
Samira versuchte, ihm mit ihrem beschränkten Wortschatz klarzumachen, dass an diesem Ort heute ihre große Modelkarriere beginnen würde, doch nach dem dritten Versuch, den ersten Satz zu formulieren, gab sie auf und reichte ihm den Bogen vom „Pour Elles“.
„Ich Model hier“, sagte sie. „Gewinnen Berliner Ausscheidungen.“
„Zu wem wollen Sie?“, wiederholte er.
„Ich hierher kommen. Hier Adresse!“, beharrte sie. Wieso ließ der Kerl sie nicht einfach durch?
„Sie können hier nicht einfach rein, wenn Sie keinen Termin haben.“
Samira schüttelte unwillig den Kopf. „Ich habe einen Termin. Hier!“ Sie hielt ihm das Blatt direkt vor die Nase. Wieso stellte sich der Mann so stur? „Sagen Sie jemandem Bescheid, damit ich hineinkomme. Die warten bestimmt auf mich.“ Sie bemerkte gar nicht, dass sie vor lauter Aufregung Deutsch gesprochen hatte.
Der Mann runzelte jetzt die Stirn und wählte schließlich eine Nummer an einem Telefon, das in die Wand eingelassen schien. Er sprach schnell und zu undeutlich, so dass Samira nicht ein Wort verstehen konnte. Außerdem war sie viel zu aufgeregt. Sie platzte fast vor Ungeduld und Vorfreude, endlich am Ziel zu sein.
Der Mann legte auf und wandte sich wieder an sie. „Diana Washington, die Chefin dieser Agentur, wird in wenigen Minuten bei Ihnen sein“, sagte er. „Warten Sie hier.“
Samira nickte und holte tief Luft, um ihre Aufregung einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen. In Gedanken übte sie den Satz zu ihrer Vorstellung, damit sie gleich einen positiven Eindruck bei der Chefin hinterließ.
Nur wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür und eine Frau mit kurzen schwarzen Haaren trat heraus. Sie war um die Vierzig, wirkte drahtig und selbstbewusst. Sie trug eine weite, schwarze Hose und eine elegante weiße Bluse.
„Wer sind Sie?“, fragte sie Samira.
Samira lächelte und reichte ihr den Bogen. „Ich bin die Gewinnerin des Modelwettbewerbs in Berlin“, sagte sie, durch das Üben dieses Satzes tatsächlich einigermaßen korrekt. „Mein Name ist Samira Puckler.“
„Welcher Modelwettbewerb?“, fragte die Frau und betrachtete irritiert den Bogen.
„Hier!“ Samira deutete auf die Adresse vom „Pour Elles“. „Die haben alles gebucht. Ich habe ein Jahr bei Ihnen in dieser Firma gewonnen. Heute geht es los.“
Die Frau schüttelte bedauernd den Kopf. „Tut mir leid, Süße. Aber ich habe weder von dir noch von diesem ‚Pour Elles‘ jemals etwas gehört.“
KAPITEL 3
Die Stärken der Frauen
I
Das Wasser war erstaunlich warm. Es umspülte ihre Haut, durchnässte ihr Haar. Und drang in Ohren und Nase ein. Wo befand sich die Oberfläche? Wo???
Myrtel kämpfte verzweifelt gegen den Atemreflex an, als sie panisch kopfüber im tiefen Wasser paddelte. Ihr Körper lechzte nach Sauerstoff, ihr Puls raste in Todesangst. Krampfhaft hielt sie die Augen geschlossen, als wäre Wasser in den Augen genauso tödlich wie in den Lungen.
Hilfe!, dachte sie. Sie konnte jedoch nicht laut rufen. Überall war Wasser, in ihren Schuhen, in jeder ihrer Körperöffnungen. Ihre Kleidung hatte sich vollgesogen und zog sie in die Tiefe.
Mach die Augen auf!, schrie etwas in ihrem Inneren. Dann siehst du, wo die Wasseroberfläche ist! Du musst nach oben schwimmen, ans Licht. Doch sie schaffte es nicht, ihre Lider zu bewegen. Das war ebenfalls wie ein Reflex, wenn sie sich unter Wasser befand. Etwas dröhnte laut. Dumpf drang der Schall an ihre Ohren. Ihr Herz begann voller Angst noch schneller zu schlagen, je länger sie nicht atmen konnte.
Mach die Augen auf!!!
Wenige Minuten vorher
Wieso konnten die Leute nicht auf ihre Sachen aufpassen? Myrtel lief unwillig die Treppe des „Pour Elles“ hinunter, wobei sie sich Mühe geben musste, nicht zu stolpern. Sie hatte das Gefühl, als sei ihr Kopf viel zu
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