Tempel der Unsterblichen
aber eisigen Lächeln: »Und jede Mutter würde solches verhindern.«
Sekundenlang maßen sie einander noch stummen Blickes. Das Schweigen ihrer Kinder meinte Lilith derweil fast zu hören, so angespannt und zugleich auch erfüllt von beinahe greifbarem Entsetzen war es.
Und schließlich - gewann Lilith die Machtprobe. Landru wandte den Blick ab und ließ sie stehen. Sein eigenartiges Lächeln sah sie nicht .
»Wir gehen«, befahl er barsch.
Seine Kinder wollten ihm schon folgen, als Liliths Stimme sie innehalten ließ.
»Was geschieht mit ihm?« Sie wies hinab auf Chiquel, der sich inzwischen zwar ein klein wenig erholt hatte, jedoch noch weit entfernt war von seiner vorherigen Form - was durchaus wörtlich zu verstehen war, denn noch immer sah sein Leib aus, als wäre er inwendig zertrümmert worden.
»Laßt ihn liegen«, meinte Landru verächtlich.
»Nein!« Liliths Tonfall war bestimmend und duldete keinen Widerspruch. Und tatsächlich wandten ihre Kinder sich ihr zu, wenn auch nur zögernd und spürbar unsicher und ängstlich.
»Pomona, Zapata«, Lilith wies auf die beiden, deren Namen sie sich hatte merken können. »Helft eurem Bruder, tragt ihn.«
Die beiden Angesprochenen blickten zu Landru hin, erwarteten eine Äußerung seinerseits. Doch er schwieg, und sein Blick verriet keine Regung.
»Tut es!« verlangte Lilith. »Macht schon!«
Einen kurzen Moment zauderten Pomona und Zapata noch, dann traten sie vor, beugten sich zu Chiquel hinab und zerrten ihn hoch, um ihn dann mit sich zu schleifen.
»Na also«, meinte Lilith. Mit ihrem Lächeln wollte sie Landru treffen wie mit einem Nadelstich, aber er gab nicht zu erkennen, ob es ihr gelungen war.
Erst als Lilith sich dem Zug der Maya-Vampire anschloß und ihm den Rücken zukehrte, gestattete Landru sich seinerseits ein neuerliches Lächeln - ein tief zufriedenes, und er mußte an sich halten, um nicht aufzulachen.
Sein Plan gelang besser, als er es zu hoffen gewagt hatte. Lilith Eden, das verfluchte Balg der Hure Creanna, tappte offenen Auges in die Falle - - eine Falle, die er schon vor Jahrhunderten errichtet hatte, ohne auch nur zu ahnen, daß sie einmal geeignet sein könnte, hinter einer Widersacherin zuzuschnappen, die damals noch gar nicht geboren war
*
Anno Domini 1523, Yucatan
Durch den treibenden Pulverdampf der Musketen hindurch sah Pedro Grijalva, wie der keulenschwingend auf ihn zustürmende Wilde fiel und sich mehrmals überschlug, bevor er zuckend liegenblieb.
Den Rückschlag seiner Flinte nahm der Oberleutnant kaum wahr; er stemmte bereits den Kolben gegen die Pflastersteine des öffentlichen Platzes, um sofort nachzuladen.
Überall im weiten Rund der Lichtung, auf der sich die Stadt erhob, hielt der Tod reiche Ernte. Es war der Preis des Feldzugs, den sie führten. Der Preis eines jeden Krieges ...
Als Grijalva einem seiner Männer zusah, wie dieser einen Indio, der sich mit der Streitaxt schützend vor seine Angehörigen gestellt hatte, erst niederschoß, sich dann bückte, die Axt aufhob und damit ausholte, um die am Boden kniende Frau zu köpfen, spülte ihm die Übelkeit unverdaute Essensreste vom Vortag nach oben.
Trotzdem schritt er nicht ein, sondern beruhigte sein Gewissen damit, daß der Mann den Ruf seines Kommandanten im Blutrausch ohnehin nicht gehört hätte.
Die Streitaxt sauste herab. Im Geiste sah Grijalva schon, wie der Kopf der jungen Frau vom Rumpf abgeschlagen wurde .
... in der Realität allerdings trat dieses Ereignis nicht ein.
Grijalva traute seinen Augen nicht, als er sah, wie statt dessen der Soldat starb, und zwar, weil er sich die Axtklinge gegen den eigenen Hals schmetterte und röchelnd zusammenbrach!
Im ersten Moment schob Grijalva ein Mißgeschick seines Untergebenen als mögliche Erklärung vor. Doch dann wurde er darauf aufmerksam, daß es überall auf dem Platz zu ähnlichen Vorfällen kam.
Die immer noch vereinzelt krachenden Schüsse trafen keine Maya-Krieger mehr, sondern die eigenen Leute!
Sie strecken sich gegenseitig nieder ...
Der Gedanke wälzte sich träge wie zähe Lava durch Grijalvas Hirn, und er fragte sich, welcher böse Zauber wohl über die Soldaten gekommen sein mochte.
Seit die Konquistadoren ihr wahres Gesicht auf diesem Kontinent gezeigt hatten, waren sie hundertfach von ihren primitiven Gegnern verflucht worden. Die übelsten Krankheiten hatten die Maya-Völker ihnen an den Hals gewünscht - doch stets waren sie selbst es gewesen, die von Epidemien dezimiert
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