Tempus (German Edition)
mal eure Heizkörper an. Vielleicht müssen sie einfach entlüftet werden. Wann habt ihr das zuletzt gemacht?«
»Ich glaube, noch nie!« Verblüfft guckte ich ihn an. Zum ersten Mal in meinem Leben hörte ich überhaupt davon, dass man Heizkörper entlüften konnte.
Jonas schmunzelte, wodurch er jünger wirkte. Wahrscheinlich war er gar nicht so alt, wie ich ursprünglich gedacht hatte. Älter als ich zwar mit Sicherheit, aber nur zwei oder drei Jahre. Ich schätzte ihn auf höchstens zwanzig.
Jonas hatte sich inzwischen vor den Heizkörper in der Diele gekniet und versuchte mit der Hand das Ventil aufzudrehen, erfolglos. »Mann, ist das verkantet«, ächzte er und nahm eine Zange zur Hilfe. An seinem Kopf und Hals traten vor Anstrengung die Adern hervor. Ich beobachtete ihn unauffällig bei der Arbeit. Etwas an ihm faszinierte mich. Ich wusste nur nicht, was. Er war so ganz anders als die Menschen, die ich kannte.
»Jetzt aber«, brummte Jonas. Das Ventil gab nach und Luft zischte heraus. Das Wasser hatte endlich freie Bahn und strömte gluckernd in die Heizung. Jonas schraubte das Ventil zu und wiederholte den Vorgang bei den anderen Heizkörpern im Haus. Erst ganz zum Schluss führte ich ihn in mein Zimmer.
»Deins?«, fragte Jonas und schaute sich neugierig um.
»Ja«, antwortete ich leicht verlegen. Mein Zimmer sah alles andere als vorzeigbar aus. Überall an den Wänden standen unausgepackte Kartons, die darauf warteten, nach Afrika zurückzukehren. Inzwischen gab es jedoch keinen Grund mehr für einen Umzug nach Kenia. Es wurde Zeit, die Kartons auszupacken.
»Was machst du gerade?«, riss mich Jonas aus meinen Gedanken. Er zeigte auf einen Stapel Bücher auf meinem Schreibtisch und das Blatt Papier mit der Zeitachse.
»Hausaufgaben«, erwiderte ich.
»Alles klar, so genau wollte ich das gar nicht wissen«, grinste Jonas. Er schien eher belustigt als beleidigt zu sein.
»Ich muss ein Referat über Cäsar vorbereiten«, sagte ich schnell. Jonas nickte nur. »Wie heißt du eigentlich?«
»Elina.«
»Hübsch. – Das hier auch!« Er schnappte sich das Foto von mir und meinen Eltern, das auf meiner Kommode gleich neben dem Bett stand. Erik, Hedda und ich hatten ein halbes Jahr vor unserer Abreise aus Kenia einen Ausflug in den Serengeti-Nationalpark unternommen. Auf dem Foto lehnten wir an der Kühlerhaube eines Jeeps.
Rechts von mir mein Vater und links von mir meine Mutter. Beide hatten ihren Arm um mich gelegt. Im Hintergrund sah man Zebras.
»Deine Frisur jetzt gefällt mir besser als die da auf dem Foto«, meinte Jonas.
»Danke!« Ich lächelte verkrampft.
»Keine Ursache! – So, jetzt aber ran an den letzten Heizkörper!«
Innerhalb weniger Minuten hatte Jonas auch diesen entlüftet. Er packte seine Zange zurück in den Werkzeugkoffer, verschloss ihn und ging mit mir zusammen die Treppe hinunter zur Haustür. Auf der letzten Stufe blieb er unvermittelt stehen und fragte: »Gehst du eigentlich gern ins Kino?«
»Hängt davon ab.«
»Wovon? Vom Film oder von der Begleitung?«
»Vom Film«, stotterte ich.
»Okay, wenn das so ist, kannst du dir ja einen aussuchen, den du gern anschauen möchtest und wir gehen zusammen hin«, schlug er vor.
»Ich glaube, das ist keine so gute Idee«, murmelte ich.
»Warum nicht?«
»Mein Leben ist gerade so ... kompliziert ...«
»Puhhh«, machte Jonas und zuckte die Achseln. »Was soll man dazu sagen?!«
»Am besten nichts«, entgegnete ich leise.
»Na ja, vielleicht ein anderes Mal. Das Angebot steht!« Jonas klang schon wieder fröhlich. Er nickte mir zu und verließ das Haus. Schnell machte ich die Tür hinter ihm zu, lehnte mich mit dem Rücken dagegen und machte ebenfalls »Puhhh!«
Raumzeit
Ich hatte weder Hunger noch Lust mit meinen Eltern zu reden. Ich rappelte mich trotzdem auf und ging hinunter zum Abendessen in die Küche. Schließlich musste ich noch die Sache mit der Schule beichten. Bevor ich überhaupt den Mund aufmachen konnte, eröffnete Hedda bereits das Gespräch: »Wie schön, die Heizungen funktionieren wieder! Mit dem Monteur hat also alles geklappt?«
»Ja. Die Rechnung will er mit der Post schicken«, antwortete ich.
»Und wie war der Unterricht?«
Ich stöhnte innerlich auf. Warum musste sie einem nur immer zuvorkommen? Ich hätte das Thema lieber selbst angeschnitten. Jetzt sah es so aus, als hätte sie mich ertappt.
»Weiß nicht. Ich war nicht da«, nuschelte ich.
»Was heißt das? Du bist doch heute Morgen aus
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