Tempus (German Edition)
dem Haus gegangen?«, fragte Hedda. Ihr Misstrauen war geweckt.
»Ja, aber auf einmal wurde mir schlecht … und da bin ich umgekehrt«, log ich. »Könnt ihr mir eine Entschuldigung schreiben?«
»Kommt gar nicht infrage. Ich unterstütze kein Schwänzen.« Hedda hatte mich natürlich gleich durchschaut.
»Komm schon, Elina ist gut in der Schule. Sie weiß bestimmt, was sie tut. Und wenn sie sagt, ihr war schlecht, sollten wir ihr das glauben«, mischte sich Erik ein. Er schien mir tatsächlich meine Geschichte abzukaufen, was mir erst recht ein schlechtes Gewissen bereitete.
»Ich habe zu Hause, als es mir besser ging, an dem Referat gearbeitet«, warf ich zu unser aller Beruhigung ein.
»Das hört sich wirklich sehr pflichtbewusst an. Wie bist du vorangekommen mit Cäsar? Ging’s oder hat er Ärger gemacht?« Erik zwinkerte mir über den Tisch hinweg zu.
»Ich habe erst mal nachgelesen, wann er gelebt hat und dann so ein bisschen was über seine ganzen Kriege.«
»Und?«, wollte Hedda wissen. Ob aus echtem Interesse oder um mich zu überprüfen, war nicht ganz klar.
»Er hat von 100 bis 44 vor Christus gelebt«, antwortete ich. »Im Jahr 58 ging er nach Gallien und führte dort Krieg bis etwa 51 vor Christus. Warte mal, kann das sein?« Ich überlegte kurz. »Ja, stimmt, so war das. Irgendwie komme ich bei den Jahreszahlen vor Christus immer durcheinander.«
»Wieso?«, fragte Erik und füllte sich Nudeln auf.
»Weiß auch nicht. Irritiert mich eben. Normalerweise ist es ja so, dass mit der Zeit die Zahlen immer größer werden. Du weißt schon: 2007, 2008, 2009 und so weiter. Bei den Zahlen vor Christus ist es genau umgekehrt. Sie werden immer kleiner.«
»Weil man sich dem Nullpunkt nähert. Ist doch logisch«, entgegnete Hedda.
Erik ignorierte sie. »Ich ahne, was du meinst«, sagte er. »Du musst dir einfach eine Zeitachse von links nach rechts auf ein Stück Papier malen und die Zahlen eintragen. Das macht’s anschaulicher.«
»Habe ich schon gemacht!«
»Und?«
Ich schnitt eine Grimasse.
»Hast du eigentlich schon mal davon gehört, dass die Zeit gekrümmt sein soll?«, wollte Erik wissen.
»Erik, bitte mache es nicht noch komplizierter. Ich wollte gern in Ruhe essen.« Hedda schüttelte unwillig den Kopf.
»Ja, hab ich. Die Theorie ist von Albert Einstein, oder?«, antwortete ich.
»Kluges Mädchen!« Erik lächelte stolz.
»Aber wie kann die Zeit gekrümmt sein? Das verstehe ich nicht«, wunderte ich mich.
»Soweit ich weiß, hat das was damit zu tun, dass Raum und Zeit aneinandergekoppelt sind. Man spricht daher auch von der Raumzeit ...«, setzte Erik an.
»Erik, bitte«, unterbrach Hedda ihn.
Für einen Moment herrschte Schweigen in der Küche. Hedda hatte sich mal wieder durchgesetzt, was mich ärgerte. Daher fragte ich fast schon trotzig: »Und was bedeutet es, dass die Raumzeit gekrümmt ist?«
»Das könnte vielleicht bedeuten, – aber sicher bin ich mir nicht – dass sich die Zeit irgendwann und irgendwo berührt«, meinte Erik.
»Verstehe. Was passiert denn, wenn sich die Zeit berührt?«, hakte ich nach.
»Keine Ahnung. Wenn’s dich interessiert, google es doch mal.«
»Aber erst nach dem Essen«, sagte Hedda in einem Ton, der keinen Widerspruch und keine weiteren Fragen zuließ.
An diesem Abend googelte ich nichts mehr. Ich war hundemüde und legte mich früh schlafen.
Die richtige Hand
Ich ging eine dunkle Straße entlang. Um mich herum waren lauter fremde Menschen. Plötzlich kam jemand auf mich zu. Obwohl dieser Jemand dicht vor mir stehen blieb, konnte ich ihn nicht richtig erkennen. So als hätte er kein Gesicht und keinen Körper. Dennoch war ich mir sicher: Dieser gestaltlose Mensch war ein junger Mann.
Ohne zu fragen, nahm er mich unvermittelt an die Hand und lief mit mir die Straße entlang. Ich ließ es geschehen. Erst nach ein paar Schritten wurde mir bewusst, dass ich den jungen Mann überhaupt nicht kannte. Empört wollte ich ihm meine Hand entziehen. Was bildete er sich ein? Im selben Moment merkte ich, wie gut sich seine Hand anfühlte. Vertraut und warm. Einfach richtig. Also ließ ich meine Hand in seiner und folgte ihm.
Mit einem Lächeln wachte ich auf. Ich zog die Bettdecke enger um mich, kuschelte mich noch tiefer zwischen die Daunenkissen und blickte hoch zu meinem Himmel .So gut es ging versuchte ich, das wohlige Gefühl aus meinem Traum festzuhalten. Ich wollte es konservieren, damit ich möglichst lange etwas davon hatte. In diesem
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