Tempus (German Edition)
besser, wenn wir uns jetzt nicht mehr schreiben. Pass auf dich auf.
Harry
Er hatte ein Kind bekommen. Harry. Von Susan. Die beiden hatten geheiratet und ein Kind bekommen. Mein Harry, der mir in der Dunkelheit versprochen hatte, dass wir uns für immer lieben und bis zu unserem Tod zusammenbleiben wollten. Er hatte sein Versprechen gebrochen. Es war nicht der Tod, der uns getrennt hatte, sondern Susan. Und ein Kind. Ich konnte es noch immer nicht fassen, es war so unvorstellbar – wie in einem schlechten Film.
Ich rief den Ordner mit Harrys Mails auf. Gleichzeitig versuchte ich, mir mit aller Kraft sein Gesicht in Erinnerung zu rufen. Jedes Detail, so genau wie möglich, bis es schmerzte. Ich wollte mich abhärten für alle Zeiten und dann nie wieder leiden müssen.
Ich sah das Blau seiner Augen, die übermütigen Blitze darin, sein Lachen und seine blonden Haare, die in der untergehenden afrikanischen Sonne golden glänzten. Wie geblendet schloss ich die Augen und drückte die Löschtaste.
Fremdes Land
Mein Leben in Helsingborg war jetzt erst recht die Hölle. Eine, in der es allen Klischees zum Trotz ständig regnete, stürmte und kalt war. Ich hasste das Wetter. Und alles andere auch. Nach Harrys Mail gab es nichts mehr, woran ich mich klammern konnte. In der Schule war ich eine Außenseiterin. Ich kam aus Afrika und sprach perfekt Englisch, was offenbar Grund genug war, um mich wie eine Aussätzige zu behandeln. Dass die Mädchen hinter meinem Rücken tuschelten und mir abschätzige Blicke zuwarfen, daran hatte ich mich inzwischen gewöhnt. Eine ganz andere Geschichte war das mit Ole, Malte, Dennis und seiner Freundin Linn, die das Schuljahr wiederholten.
Als die vier in der Pause auf mich zukamen, schwante mir sofort nichts Gutes.
»He, Elina, alles klar bei dir?« Dennis baute sich vor mir auf und verschränkte die Arme.
Ich nickte nur. Der Geruch von Linoleum, Putzmitteln und abgestandener Luft schnürte mir die Kehle zu.
»Bist du eigentlich auch bei unserer Schülerplattform angemeldet?«, wollte er wissen.
»Nein, noch nicht.«
»Musst du unbedingt machen«, sagte Linn. »Wir sind da alle. Das macht echt Spaß.« Sie grinste.
Bevor ich etwas erwidern konnte, läutete die Schulglocke und wir mussten zum Unterricht.
»An deiner Stelle würde ich mir die Seite nicht so genau ansehen.« Agnes, die fast genauso unbeliebt war wie ich und sich in den Pausen meist zu mir gesellte, hielt mich am Jackenärmel fest.
»Warum nicht?«, fragte ich gedehnt.
»Ach, da stehen oft bescheuerte Sachen«, winkte Agnes ab.
»Was für bescheuerte Sachen?«
»Bescheuerte Sachen eben.«
»Geht’s etwas genauer?«
»Wenn du es unbedingt wissen willst: Sie schreiben fiese Sachen über einen und so. Von dir haben sie ein Foto online gestellt. Auf dem Bild bist du fast nackt. Du trägst nur so einen komischen Rock aus Bananen.«
»He????« Ich guckte Agnes verständnislos an.
»Du hast echt keine Ahnung, oder?«, meinte sie mitleidig. »Das Foto haben sie mit einem Handy von dir auf dem Schulhof aufgenommen. Danach hat irgend so ein Photoshop-Freak deinen Kopf auf den Körper einer afrikanischen Tänzerin montiert, die nur einen Bananenrock trägt.«
Ich schnappte nach Luft. Es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff, was sie mir gerade erzählt hatte. Manchmal hatte ich das Gefühl, nicht nur in einem fremden Land zu sein, sondern auch in einer fremden Zeit. In einer, in der ich nichts verloren hatte. Ich kannte zwar die Möglichkeiten des Internets, in Kenia hatten Computer und Handys allerdings keine so große Rolle gespielt. Mein Leben hatte überwiegend im Freien stattgefunden. Meistens mit Harry. Hier in Schweden herrschten andere Spielregeln, von denen ich viele nicht kannte.
Ich beschloss, Agnes’ Rat zu befolgen und mir die Schülerseite nicht anzusehen. Anders als der Website konnte ich dem Matheunterricht, der als Nächstes anstand, jedoch nicht aus dem Weg gehen. Nicht nur mit einem Stein, sondern mindestens dem halben Kilimandscharo im Magen lief ich quer durch das Klassenzimmer zu meinem Platz in der letzten Reihe. Als ich an Malte vorbeikam, der schon auf seinem Stuhl saß, streckte dieser plötzlich sein Bein aus, sodass ich fast darüber gestolpert wäre. In letzter Sekunde machte ich einen Hüpfer über das Bein, was bestimmt extrem lächerlich aussah. Jedenfalls kicherten einige Schüler. Malte grinste blöd. Ich atmete tief durch. Besser springen als stürzen!
Keine Ahnung wie, aber
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