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Tempus (German Edition)

Tempus (German Edition)

Titel: Tempus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maud Schwarz
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als ihre sterblichen Überreste vor den Stadtmauern Roms auf dem Campus Esquilinus dem Feuer übergeben wurden. In einer bewegenden Zeremonie hatten Lucius und sämtliche Sklaven Abschied von Cornelia genommen. Es war ein wolkenverhangener Morgen, an dem wir ihr die letzte Ehre erwiesen. Ein paar professionelle Klageweiber hatten sich unaufgefordert unserer Trauergemeinde angeschlossen, die von einem Priester angeführt wurde. Die Frauen hatten gehofft, ein paar Münzen für ihr Gejammere von Lucius zu erhalten, doch Marcius’ Vater machte keinerlei Anstalten, sie zu bezahlen. Er war in eine schwarze Toga gehüllt und blickte mit versteinerter Miene auf das brennende Holzgerüst, auf dem Cornelia aufgebahrt war. Ich selbst hielt mich etwas abseits im Schutz einer mächtigen Platane auf, um die anderen in ihrer Trauer nicht zu stören. Am liebsten wäre ich der Zeremonie und dem ganzen Drumherum ganz ferngeblieben. Aber das hätten mir die Sklaven bestimmt erst recht übel genommen.
    Sogar von meinem Platz aus konnte ich Artemisias Kummer förmlich spüren. Sie versuchte, sich zusammenzureißen und Haltung zu bewahren, was fast noch schlimmer mit anzusehen war, als wenn sie wieder geweint und geschrien hätte.
    Ein einsamer Rabe balancierte auf den Zweigen über mir und krächzte anklagend. Ich hörte es. Und auch wieder nicht. Eine eigenartige Ruhe hatte mich ergriffen. Daran änderte auch die kleine Staubwolke nichts, die sich uns in schnellem Tempo näherte. Mit jeder verstreichenden Sekunde nahm sie mehr und mehr Gestalt an. Niemand außer mir bemerkte sie. Erst als die Reiter fast das Feuer erreicht hatten, schreckten die anderen Anwesenden auf.
    Marcius zügelte seinen schweißüberströmten Grauschimmel, der schnaubend zum Stehen kam, und sprang mit einem Satz aus dem Sattel. An seinem Blick sah ich, wie er zu begreifen versuchte, was vor sich ging. Irgendjemand musste ihn zum Campus Esquilinus geschickt haben. Als er mich unter der Platane erspähte, entspannten sich seine Gesichtszüge. Er machte einen Schritt auf mich zu, blieb stehen und ging dann zu seinem Vater, der mit Kleon in der Nähe des langsam herunterbrennenden Feuers stand. Verus folgte ihm mit zusammengepressten Lippen. Ich konnte sehen, wie die vier Männer miteinander tuschelten.
    Bei Verus’ Anblick erwachte Artemisia aus ihrer Trauer. Sie reckte mit blitzenden Augen ihr Kinn empor und ballte ihre Hände zu Fäusten. Neilos und ein anderer Sklave griffen nach ihren Armen, um zu verhindern, dass sie auf Verus losging. Artemisia mochte moralisch im Recht sein, von Gesetz wegen war sie es nicht. Eine Sklavin durfte niemals ihre Hand gegen einen vornehmen Römer erheben. Umgekehrt durfte dieser mit Sklaven tun und lassen, was er wollte. Wenn überhaupt, konnte nur Lucius Verus zur Rechenschaft ziehen. So lautete das geltende Recht, das mit Gerechtigkeit lediglich ein paar Buchstaben gemeinsam hatte.
    Filippa schien meine trüben Gedanken zu ahnen. Sie kam zu mir und legte ihren Arm tröstend um meine Taille. Unseren gestrigen Streit im Bad legten wir in diesem Moment bei. Einfach so, ohne viele Worte.
    Das Feuer war inzwischen komplett heruntergebrannt. Zwei Sklaven sammelten die Asche ein und füllten sie in eine Urne. Artemisia, die von Neilos gestützt wurde, trat hinzu, nahm die Urne und küsste sie. Anschließend gab sie das mit Ornamenten verzierte Gefäß zurück und schlurfte davon. Eine gebrochene, alte Frau von vierzig Jahren. Unvorstellbar, dass sie jünger war als Hedda. Das also machte Liebe aus einem Menschen. Sie zerstörte ihn. Auch meine Liebe zu Harry hatte mich fast umgebracht.
    Erneut wich ich einem Paar Steppenaugen aus, die mich fragend ansahen. Marcius stand noch immer direkt neben seinem Vater und Kleon, der den Sklaven mit der Urne letzte Instruktionen gab.
    Es war verrückt: Endlich war Marcius zurück, und ich konnte ihm nicht in die Augen schauen. Es war nicht so, dass ich ihn nicht mehr liebte. Ich wusste einfach nur nicht, wie ich ihm begegnen sollte. Nach wie vor hatte ich keine Antwort für ihn. Außerdem war mir in den vergangenen Stunden klar geworden, dass ich in keinem Fall so enden wollte wie Cornelia oder Artemisia. Deshalb fand ich es klüger, Abstand zu Marcius zu halten – auch mit den Augen. Ganz besonders in diesem Moment. Verus hatte sich direkt hinter ihm aufgebaut, breitbeinig und mit verschränkten Armen. Mit Verus wollte ich erst recht keinen Blickkontakt haben. Auch keinen versehentlichen.

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