Tempus (German Edition)
nicht. Sie war eingeschlafen.
Stumme Anklage
In Lucius’ Haus herrschte Trauer. Eine bedrückende Stille kroch durch die Flure und ergriff von allen Räumen nach und nach Besitz. Kaum jemand sprach ein Wort und wenn, nur mit gedämpfter Stimme. Selbst die Vögel und Insekten in den Gärten waren verstummt, was vielleicht auch an der Jahreszeit lag. Die Einzige, die ihrem Kummer freien Lauf ließ, war Artemisia, Cornelias Mutter. Sie hatte sich ihre langen Haare, die über Nacht grau geworden waren, mit einem Messer abgeschnitten und irrte weinend über den Palatin. Mehrmals sah ich, wie Lucius’ Blick ihr folgte. Sein Gesicht war eingefallen und seine Schultern runder als sonst. Artemisias Schmerz schien ihm nahezugehen. Genauso wie Cornelias Tod, obwohl er sie nie als Tochter anerkannt hatte. Für meinen Geschmack entdeckte Lucius seine väterlichen Gefühle etwas spät, aber das behielt ich lieber für mich. Das Leben konnte manchmal sehr zynisch sein. Und ungerecht. Ich bekam es am eigenen Leib zu spüren.
Viele vorwurfsvolle Blicke streiften mich nach der vergangenen Nacht. Die meisten Sklaven machten nicht Verus oder Lucius, der es versäumt hatte, seine Tochter zu beschützen, für Cornelias Tod verantwortlich, sondern mich. Ausgerechnet mich. Weil ich ihr nicht geholfen hatte. Dabei hätte ich es getan, wenn ich gewusst hätte wie.
Fast genauso zynisch war, dass niemand mehr von meiner Hochzeit sprach. Alle waren mit der Vorbereitung für Cornelias Beerdigung beschäftigt. Ihr Tod hatte mir einen Aufschub verschafft. Ob ich wollte oder nicht: In gewisser Weise profitierte ich wirklich von ihrem Schicksal. Ein deprimierender Gedanke.
Von Marcius gab es nach wie vor kein Lebenszeichen, was alles nur noch schlimmer machte.
Ich beschloss, abends zur Entspannung und Ablenkung ein warmes Bad zu nehmen. Genau genommen war es Filippas Idee gewesen. Erst vor wenigen Tagen hatte sie mir mit Kleons Erlaubnis den Baderaum gezeigt und mir gesagt, ich dürfe ihn fortan jederzeit nutzen. Ich nahm an, dass ich diesen Gunstbeweis Marcius zu verdanken hatte. Vermutlich hatte er Kleon noch eine entsprechende Anweisung gegeben, bevor er fortgeritten war. Ob er Kleon wohl auch befohlen hatte, meine Hochzeit mit Verus vorzubereiten? Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen.
Ich holte mir ein Handtuch aus meinem Zimmer und lief in Richtung Bad, wo ich mich mit Filippa treffen wollte. Auf dem Weg dorthin hörte ich Kleons Stimme von den Wänden im Flur widerhallen. Unverzüglich huschte ich hinter eine dicke Marmorsäule. Ich wollte auf keinen Fall mit ihm reden müssen, vor allem nicht über das Thema Hochzeit. Das Geräusch von klappernden Ledersandalen näherte sich, zusammen mit einem schwachen Lichtschein, der über die hellen Steinfliesen flackerte. Kleon war nicht allein.
»Ist Marcius immer noch nicht zurück?« Ich erkannte das Näseln des Senators.
»Nein, Herr.«
Die Männer blieben in der Nähe der Säule stehen, hinter der ich mich versteckt hatte. Mir stockte der Atem. Warum gingen sie nicht weiter?! Wenn sie mich jetzt entdeckten, wäre das nicht nur peinlich, sondern auch gefährlich. Bestimmt würden sie glauben, dass ich gelauscht oder – schlimmer noch – spioniert hätte. Mein Herzschlag dröhnte derart laut in meinen Ohren, dass ich kaum hören konnte, was Lucius sagte.
»Marcius ist gleich eineinhalb Tage überfällig. Langsam mache ich mir Sorgen.«
»Ich weiß, Herr.«
»Hoffentlich ist ihm nichts passiert. Die Lage hat sich zugespitzt. Bitte sprich mit niemandem darüber, aber vorgestern haben einige Senatoren darüber diskutiert, ob der Senat nicht Julius Cäsar dazu auffordern sollte, sein Amt in Gallien niederzulegen und seine Truppen aufzulösen. Cäsar wird vielen zu mächtig. Er stellt für Rom zunehmend eine Gefahr dar.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Cäsar einer solchen Aufforderung nachkommen wird«, erwiderte Filippas Ziehvater.
»Das sehe ich auch so. Er weiß genau: Seine Immunität endet mit seiner Amtszeit als Statthalter. Danach kann ihm jederzeit der Prozess in Rom gemacht werden. Gründe dafür finden sich im Überfluss. Während seines Konsulats vor neun Jahren hat er den Senat zu oft übergangen. Mit seinen kriminellen Machenschaften hat er sich unzählige Feinde gemacht. Wenn der Senat ihn also jetzt tatsächlich auffordern sollte, als normaler Bürger zurückzukehren und Cäsar dies – wovon wir ausgehen können – ablehnt, bedeutet das ...«
»Krieg«,
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