Tempus (German Edition)
mir den Griffel aus der Hand und ritzte ein krakeliges A in das Wachs. Er ächzte dabei.
»Also nur Großbuchstaben?!«
»Was meinst du damit?« Kleon rieb sich die schmerzenden Finger.
»Schon gut«, nuschelte ich.
»Kennst du nun unsere Schriftzeichen oder nicht?«, schaltete sich Lucius ein.
»Ich glaube, ich weiß jetzt, wie ihr es haben möchtet«, erwiderte ich und entfernte das a aus dem Wachs.
»Es geht nicht darum, wie wir es haben möchten, sondern wie es richtig ist«, belehrte mich Lucius. »Können wir jetzt weitermachen? Ja oder nein?«
»Ja. Nein. Aber schon mit Satzzeichen, oder?«
»Satzzeichen?«, staunte Lucius.
»Schon gut, also ohne.«
»Können wir nun endlich fortfahren?«
»Ja.« Ich schnitt heimlich eine Grimasse.
Lucius räusperte sich: »Also gut, noch einmal.«
SALVE TITUS ICH HOFFE DU UND DEINE FAMILIE SEID WOHLAUF NUR UNGERN BITTE ICH DICH DEIN LANDGUT ZU VERLASSEN ABER DIE POLITISCHE SITUATION GEBIETET ES BITTE KEHRE SO SCHNELL WIE MÖGLICH NACH ROM ZURÜCK NÄCHSTE WOCHE STEHT IM SENAT EINE WICHTIGE ENTSCHEIDUNG AN SENATOR CATO UND ICH BRAUCHEN UNBEDINGT DEINE STIMME ROM BRAUCHT DICH ALSO ZÖGERE NICHT MEIN FREUND DIE GÖTTER SEIEN MIT DIR
LUCIUS SULLA
Das Einritzen der Buchstaben war mühsam. Ich hatte es noch nie zuvor gemacht, entsprechend lange dauerte es. Obwohl das Schriftbild nicht besonders regelmäßig aussah, war Lucius zufrieden.
»Sehr schön!« Er beugte sich über die Wachstafel und kontrollierte meine Schreibkünste. »Kleon, sorge dafür, dass der Brief umgehend zu Titus gelangt!«
»Ja, Herr.« Kleon nahm mir die Wachstafel aus den Händen und eilte davon.
»Du kannst jetzt auch gehen«, sagte Lucius zu mir gewandt.
»Dürfte ich noch eine Bitte vortragen?« Ich setzte ein möglichst gewinnendes Lächeln auf.
»Schon gut, schon gut. Ich weiß, was du möchtest. Wenn es dich beruhigt: Du wirst Verus nicht heiraten. Ständig liegt mir jemand mit diesem Thema in den Ohren – und jeder aus einem anderen Grund.« Lucius fuchtelte mit den Händen in der Luft. Er wirkte gereizt.
»Wie bitte?« Ich sank zurück auf meinen Schemel. Eigentlich hatte ich Lucius um etwas ganz anderes bitten wollen.
»Er will nicht. Er weigert sich, dich zu heiraten, wenn du es genau wissen willst.« Lucius’ Wangenmuskel zuckten.
»Ich verstehe nicht ...« Meine Gedanken rotierten. Ich selbst hätte es niemals gewagt, das Thema Hochzeit anzuschneiden, zumal ich den Eindruck hatte, dass es seit Marcius’ Rückkehr vom Tisch war. Jedenfalls sprach seitdem niemand mehr davon. Ich war mir bis eben ziemlich sicher gewesen, dass ich das Marcius zu verdanken hatte. Aber sofern ich Lucius richtig verstanden hatte, lag es nicht an seinem Sohn, sondern an Verus.
Lucius fing wieder an, vor mir auf und ab zu laufen. »Was ist daran nicht zu verstehen? Dieser unverschämte Bursche behauptet, er würde um eine Frau trauern und könne dich daher nicht heiraten.« Ärgerlich stieß er die Worte hervor.
Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, was er gesagt hatte. Verus trauerte um eine Frau? Ich musste mich verhört haben. Um wen trauerte er? Doch nicht etwa um Cornelia?
Lucius kam vor dem Schemel zum Stehen, auf dem ich noch immer saß. »Was ist denn noch?«
»Ich … ich wollte Euch eigentlich nur fragen, ob es noch etwas anderes gibt, was ich für Euch erledigen kann. Ich brauche dringend eine Aufgabe.«
»Du brauchst eine Aufgabe?« Jetzt war auch Lucius verwirrt. »Wie meinst du das?«
»Ich muss irgendetwas tun. Ich weiß nicht, was ich den ganzen Tag machen soll. Ich ... Ich langweile mich. Habt Ihr nicht Arbeit für mich?«
Lucius musterte mich verständnislos. »Wieso willst du arbeiten? Du bist keine Sklavin. Wenn du unbedingt möchtest, kannst du Filippa bei der Haushaltsführung unterstützen. Am besten besprichst du das mit Kleon.«
»Ich brauche eine eigene Aufgabe, etwas das mich fordert. Ich könnte öfter für Euch schreiben. So wie heute. Ich meine, solange Euer Sekretär krank ist«, schlug ich vor.
»Du bist ein seltsames Mädchen«, meinte Lucius und setzte seine Wanderung fort, was mich ganz nervös machte. »Aber warum eigentlich nicht?! Ich habe mir ein paar Schriftrollen ausgeliehen. Die könntest du abschreiben. Ich bin im Begriff, meine Bibliothek zu erweitern.« Er musterte seinen Arbeitstisch. »Wäre das eine dir genehme Aufgabe?«, fügte er sarkastisch hinzu.
»Ja, das würde ich gern machen. Soll ich alles auf Wachstafeln
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