Tempus (German Edition)
gleichzeitig schnellte seine Hand nach vorne. Statt mich zu ohrfeigen, wie ich befürchtet hatte, wedelte er mit seinem Zeigefinger dicht vor meiner Nase hin und her. »Siehst du, genau davon spreche ich. Du führst aufrührerische Reden. Anders als du, ist Filippa eine Sklavin. Anders als dir, wird es ihr nie erlaubt sein, eine eigene Meinung zu haben. Sie wird auch niemals heiraten dürfen. Ich warne dich, Elina. Wecke in ihr keine Wünsche, die du nicht erfüllen kannst. Du machst sie damit nur traurig, und das lasse ich nicht zu. Ich liebe sie wie meine eigene Tochter, und ich werde sie vor dir beschützen.«
Ich war sprachlos. Einen derartigen Gefühlsausbruch hatte ich bei Kleon noch nie erlebt. Er schien wirklich an Filippa zu hängen. Viel mehr als er normalerweise zu zeigen bereit war. Ich fühlte mich auf einmal noch schlechter als sowieso schon. Niemand mochte mich, keiner traute mir. Und nun schadete ich sogar meiner einzigen Freundin.
»Es ist nicht meine Absicht, Filippa unglücklich zu machen. Wirklich nicht«, murmelte ich.
Kleon antwortete nicht, sondern schob mich in einen Raum, bei dem es sich nur um Lucius’ Arbeitszimmer handeln konnte. Marcius’ Vater saß an einem Tisch, hinter dem ein bunter Wandteppich hing, und studierte mit gerunzelter Stirn ein Schriftstück. Neben ihm stapelten sich unzählige Papierrollen.
»Herr, ich bringe dir das Mädchen.«
»Sehr gut.« Lucius winkte mich zu sich. »Ich habe gehört, du kannst schreiben?«
Das musste ihm Kleon erzählt haben, der es wiederum nur von Filippa wissen konnte. Bei einem unserer zahlreichen Terrassengespräche hatte ich ihr erzählt, dass ich schreiben, lesen und rechnen konnte, was sie mit Hochachtung und mich daraufhin ein bisschen mit Stolz erfüllt hatte.
»Ja, das stimmt. Aber nur lateinische Buchstaben«, antwortete ich.
Lucius und Kleon sahen mich entgeistert an, dann brach Marcius’ Vater in ein hüstelndes Lachen aus. »So, so, nur lateinische Buchstaben! Ich denke, das reicht für unseren Zweck. Dem Senator, dem ich eine Nachricht zukommen lassen möchte, sollte des Lateinischen mächtig sein.« Auch Kleon konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Erst jetzt bemerkte ich, wie albern meine Bemerkung gewesen war. Natürlich lateinische Buchstaben! Was sonst? Arabische, kyrillische oder chinesische Schriftzeichen ergaben ja wohl kaum einen Sinn. Schließlich befand ich mich im antiken Rom, der Geburtsstätte der lateinischen Schrift.
»Du sollst einen Brief für mich schreiben. Mein Sekretär, der solche Aufgaben für gewöhnlich übernimmt, ist unpässlich, und Kleons Hände sind im Laufe der Jahre steif geworden«, fuhr Lucius fort.
»Ich könnte es versuchen«, antwortete ich noch immer etwas verlegen. »Wo sind Tinte und ...?« Mir fiel das Wort für Papier nicht ein, also zeigte ich auf die Rollen auf seinem Arbeitstisch.
»Papyrus meinst du? Das brauchen wir nicht. Für den Brief reicht eine Wachstafel vollkommen.« Lucius unterdrückte ein Lächeln und deutete mit dem Kinn auf zwei Gegenstände, die auf einem Schemel lagen. »Du kannst dich dort hinsetzen und aufschreiben, was ich dir diktiere.«
»Wie funktioniert das?« Ratlos griff ich nach einer Art Metallstift und einer mit Wachs beschichteten Holztafel.
»Du hast damit noch nie geschrieben?« Lucius verzog skeptisch den Mund.
»Nein. Nur mit Papyrus«, entgegnete ich.
»Kleon, zeig ihr, wie es geht«, befahl der Senator.
Kleon nahm den Metallstift in die rechte Hand und ritzte damit ein B in das Wachs. »Wenn du etwas ändern willst, drehst du den Griffel einfach um und streichst damit das Wachs wieder glatt, siehst du? So macht man das.« Am anderen Ende des Stifts, den Kleon als Griffel bezeichnet hatte, befand sich ein kleiner Spatel, mit dem Kleon das Wachs so lange bearbeitete, bis das B wieder verschwunden war. »Hast du das verstanden?«, wollte Kleon wissen.
»Ja.« Ich setzte mich auf den Schemel mit der Wachstafel auf dem Schoß und wartete gespannt.
»Bist du so weit?« Lucius sah mich fragend an.
»Ja.«
»Gut, fangen wir an.« Die Hände auf dem Rücken verschränkt, lief Lucius vor mir auf und ab. »Salve, Titus ...«, diktierte er.
Ich hatte gerade einmal zwei Druckbuchstaben in die Wachstafel geritzt, da tippte mir Kleon von hinten auf die Schulter. »Was soll das sein?«, blaffte er mich an und zeigte auf das a .
»Das ist ein kleines a !«
»Was ist das?« Er wirkte irritiert. »So schreibt man den Buchstaben!« Er nahm
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