Tempus (German Edition)
Dabei wusste ich, dass er mehrmals verheiratet gewesen war und mit Brutus’ Mutter ein Verhältnis gehabt hatte. Außerdem hatte ich in Schweden einen Film über seine Affäre mit der ägyptischen Königin Kleopatra gesehen und hinterher einiges darüber im Internet nachgelesen. Wenn ich mich nicht irrte, würde sich Cäsar erst in mehr als einem Jahr in Kleopatra verlieben. Ich musste automatisch an Marcius und unsere Liebe denken. Und daran, dass er gerade gegen Cäsar zu kämpfen versuchte. Traurig packte ich meine Sachen zusammen und ging kurz nach Lucius aus der Bibliothek. Ich war nicht in der Stimmung, den sterbenden Hektor zu zeichnen. Morgen war auch noch ein Tag. Genauso wie übermorgen. Und überübermorgen.
Spurlos verschwunden
Ich drehte eine Runde ums Haus, um auf andere Gedanken zu kommen und um meine Finger auszuruhen, die vom vielen Schreiben wehtaten. Heute hatte ich mit dem vierundzwanzigsten und damit letzten Gesang begonnen, der aus rund achthundert Verszeilen bestand. Vor mir lag noch einiges an Arbeit.
Ich sog die inzwischen wieder wärmer gewordene, frühlingshafte Luft ein, reckte und streckte mich und massierte im Gehen meine Finger. In der Nähe der Haustür blieb ich stehen und lauschte. Ich konnte sie nicht sehen, nur hören. Filippa und ihr Ziehvater klangen aufgebracht. Etwas Wichtiges musste vorgefallen sein. Was, wenn es Marcius betraf?! Mein Puls beschleunigte sich.
»Seit wann ist sie verschwunden?« Das war Kleons Stimme.
»Ich weiß es nicht. Gestern Abend habe ich sie zuletzt gesehen«, antwortete Filippa.
Ich lief so rasch es ging um mehrere Hecken herum, die labyrinthartig angelegt waren, bis ich schließlich zu ihnen stieß. Filippa und Kleon waren nicht allein. Sämtliche Sklaven hatten sich versammelt und tuschelten miteinander.
»Neilos, du und die anderen Sklaven, ihr werdet den Hügel absuchen. Strich für Strich. Schaut hinter jeden Busch und jeden Baum. Fragt auch die Nachbarn. Filippa, Elias und ich werden uns die Gärten und das Haus vornehmen. – Beeilt euch«, befahl Kleon.
Neilos neigte höflich den Kopf und teilte die etwa vierzig anwesenden Männer und Frauen in kleinere Gruppen auf und ließ sie in alle vier Himmelsrichtungen ausschwärmen.
»Kann ich helfen?« Ich ging auf Kleon, Elias und Filippa zu.
Kleon fuhr herum. Er hatte mit dem Rücken zu mir gestanden. »Das ist nicht nötig«, blaffte er mich an.
»Was ist passiert?« Ich tat so, als hätte ich seine Antwort überhört. Filippa wechselte einen raschen Blick mit Kleon, der nur kurz nickte.
»Artemisia, Cornelias Mutter, ist verschwunden«, sagte sie.
»Seit wann?«
»Das wissen wir nicht genau. Gestern Abend war sie noch da.«
»Dann kann sie nicht so lange fort sein«, meinte ich.
»Sklaven dürfen sich nicht unerlaubt entfernen. Egal wie lange«, belehrte mich Kleon.
»Vielleicht hat sie Cornelias Grab besucht«, überlegte ich.
»So weit ist es nicht entfernt. Sie wäre schon zurück.« Kleon schüttelte den Kopf.
»Und wenn ihr etwas passiert ist?«, gab ich zu bedenken.
»Wir werden sehen«, brummte er und ließ mich stehen, um zusammen mit Filippa und Elias das Areal rund ums Haus zu durchkämmen.
Kleon hatte meine Hilfe zwar abgelehnt, aber das hielt mich nicht davon ab, mich trotzdem auf die Suche zu machen. Ich ging zum Pferdestall, wo ich mich durch meine Ausritte mit Marcius gut auskannte und wo ich vor einigen Wochen immerhin schon Cornelia aufgestöbert hatte. Ich war mir ziemlich sicher, dass sich ihre Mutter ebenfalls zwischen den Boxen verkrochen hatte. Im Vorbeigehen streichelte ich Amandus’ Nase. Er schnaubte.
»Weißt du, wo sie ist?«, fragte ich ihn.
Er schnaubte erneut und schnupperte an meiner Hand, in der er ausnahmsweise kein Brot fand. Enttäuscht wandte er sich ab und drehte mir sein Hinterteil zu. Statt über sein Verhalten zu grinsen, ärgerte es mich. Amandus kam mir plötzlich berechnend und undankbar vor. Wenn ich das Marcius erzählen würde, würde er bestimmt über mich lachen und sagen: Was erwartest du? Amandus ist ein Tier!
Ach, Marcius! Ich schnäuzte mir die Nase und begann mit der Suche.
Quadratzentimeter für Quadratzentimeter durchwühlte ich das Heu, ich blickte hinter jede Kiste und jeden Sack, aber ohne Erfolg. Ich konnte Artemisia nirgends entdecken. Nach kurzem Nachdenken verließ ich den Stall und blickte mich um. Der Stall war von hohen Farnen umgeben. Vielleicht hatte sich Cornelias Mutter ja etwas angetan und lag irgendwo
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