Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tempus (German Edition)

Tempus (German Edition)

Titel: Tempus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maud Schwarz
Vom Netzwerk:
eherne Rüstung,
    Blank und schön, die er raubte, die Kraft des Patroklos ermordend;
    Nur wo das Schlüsselbein den Hals begrenzt und die Achsel,
    Schien die Kehl’ ihm entblößt, die gefährlichste Stelle des Lebens:
    Dort mit dem Speer anstürmend durchstach ihn der edle Achilleus,
    Dass ihm hindurch aus dem zarten Genick die Spitze hervordrang.
    Doch nicht gänzlich den Schlund durchschnitt der eherne Speer ihm,
    Dass er noch zu reden vermocht’ im Wechselgespräche;
    Mit Widerwillen schrieb ich weiter an der Passage, in der Hektor tödlich getroffen vor Achilles zu Boden ging:
    Und er entsank in den Staub; da rief frohlockend Achilleus:
    Hektor, du glaubtest gewiss, da Patrokleus’ Wehr du geraubet,
    Sicher zu sein, und achtetest nicht des entfernten Achilleus.
    Törichter! Jenem entfernt war ein weit machtvollerer Rächer
    Bei den gebogenen Schiffen, ich selbst, zurück ihm geblieben,
    Der dir die Kniee gelöst! Dich zerren nun Hund’ und Gevögel,
    Schmählich entstellt; ihn aber bestatten mit Ruhm die Achaier.
    Wieder begann schwachatmend der helmumflatterte Hektor:
    Dich beschwör’ ich beim Leben, bei deinen Knien, und den Eltern,
    Laß mich nicht an den Schiffen der Danaer Hunde zerreißen;
    Ich hörte ein Geräusch und schaute auf. Lucius hatte die Bibliothek betreten. Er kam zu mir ans Stehpult und schaute mir über die Schulter. »Nun, wie geht es voran?«
    »Bis auf zwei Gesänge bin ich fast fertig.«
    »Sehr schön, sehr schön.« Lucius blickte auf meinen Hals. Sofort griff ich nach dem Amulett. »Marcius hat dir also das Amulett seiner Mutter gegeben«, stellte Lucius fest.
    »Geschenkt«, korrigierte ich ihn.
    »Er muss dich sehr gern haben. Seitdem du in diesem Haus lebst, ist er so fröhlich, wie seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr.«
    Ich legte die Rohrfeder beiseite und wartete.
    »Die Zeit nach Julias Tod war schwierig. Marcius war verschlossen und abweisend. Sosehr ich mich auch bemühte, ich bekam keinen Zugang zu ihm. Ich hatte das Gefühl, er würde mich für Julias Tod verantwortlich machen. Manchmal dachte ich schon, ich hätte auch ihn endgültig verloren«, fuhr er fort. Ich kannte Marcius’ Sicht der Dinge und wunderte mich über Lucius’ Worte. Wie es schien, hatte auch er sich all die Jahre unverstanden und abgelehnt gefühlt. Oder behauptete er das nur, um vor mir besser dazustehen? Dafür hatte er allerdings keine Veranlassung, überlegte ich.
    »Woran ist Eure Frau gestorben?«, fragte ich vorsichtig.
    »An einem Fieber. Der Medicus konnte nichts für sie tun. Es war ein schwerer Verlust. Nicht nur für Marcius. Ich habe Julia sehr geliebt.« Lucius setzte sich auf die Truhe, in denen die ausgeliehenen Papyrusrollen aufbewahrt wurden. »Du tust ihm gut, Elina. So wie Julia mir damals guttat. Selbst die Geschichte mit Artemisia hat sie mir verziehen. Ich nehme jedenfalls an, dass sie es gewusst hat, auch wenn wir nie darüber gesprochen haben.« Er hielt inne und zog die Stirn kraus. »Merkwürdig, ausgerechnet mit dir spreche ich darüber. Es liegt wohl an den Umständen.«
    »Glaubt Ihr, Marcius kommt zurück?«, platzte es unvermittelt aus mir heraus. Im Grunde war es die einzige Frage, die mich wirklich beschäftigte.
    Lucius stand auf. Seine Mundwinkel zuckten, als er sagte: »Das liegt allein in den Händen der Götter. – Und in der Hand Cäsars.«
    »Kennt Ihr ihn eigentlich persönlich?« Eher instinktiv ergriff ich die einmalige Chance, mich bei einem Zeitzeugen nach dem legendären Feldherrn und Politiker zu erkundigen.
    »Wen? Cäsar? Selbstverständlich! Von früher aus dem Senat.«
    »Und wie ist er so?«
    »Überheblich.« Lucius spie das Wort fast aus.
    »Ist das alles?«
    »Was willst du hören?! Cäsar ist ein gerissener Fuchs. Ein brillanter und ehrgeiziger Stratege. Vermutlich ist er der ehrgeizigste Mensch unter der Sonne. Er ist eine seltsame Mischung aus eisernem Soldat und charmantem Weiberheld.« Lucius redete sich zunehmend in Rage. An seinen Händen, die er ununterbrochen knetete, traten bereits die Knöchel weiß hervor. »Wenn Cäsars Absichten nicht so widerlich wären, wenn er nicht die Republik abschaffen und eine Diktatur anstreben würde, könnte ich ihn vielleicht für sein Genie bewundern. Aber so ...?!« Lucius blieb einen Moment unschlüssig vor mir stehen, dann verließ er mit durchgedrückten Schultern abrupt den Raum. Ich blieb nachdenklich zurück. Cäsar ein Weiberheld? In diesem Licht hatte ich ihn noch nicht betrachtet.

Weitere Kostenlose Bücher