Tempus (German Edition)
»Marcius!«
»Nicht jetzt, Elina.« Er stopfte eine Tunika und eine Decke in seine Satteltasche.
»Geh nicht!«
Mit einem Seufzer sah er auf. »Ich muss, Elina.«
»Keiner zwingt dich dazu. Lass uns zusammen mit deinem Vater und den anderen Rom verlassen und uns in Sicherheit bringen.«
»Wir hatten das Thema doch schon. Meine Meinung hat sich nicht geändert.« Er winkte müde ab.
Von draußen drang Hufgetrappel zu uns herein, Männerstimmen und Waffenklirren waren zu hören. Marcius lief in großen Schritten zum Fenster und schaute hinaus.
»Verus ist da. Ich muss los, Elina. Leb wohl.« Er zog mich an sich und küsste mich kurz.
»Marcius ...«
»Mach dir keine Sorgen, Elina. Ich komme wieder. Danach bleiben wir für immer zusammen. Ich werde mit meinem Vater sprechen. Keine Halbheiten mehr. Ich verspreche es dir. Ich komme wieder!«
»Bitte bleib!«
»Ich komme wieder!« Er küsste mich noch einmal und lief mit seiner Satteltasche davon. Wie betäubt blieb ich in seinem Zimmer stehen. Ich komme wieder, ich komme wieder, ich komme wieder, hallte es in meinen Ohren nach. Meine Beine bewegten sich langsam zum Fenster. Ich sah Marcius auf seinen Grauschimmel springen und mit Verus und den anderen Männern davonjagen. Ich komme wieder, ich komme wieder, ich komme wieder!
Ich setzte mich auf sein Bett, legte die Hände vors Gesicht und rang nach Luft. Eine Hand berührte vorsichtig meine Schulter. Es war Lucius.
»Du solltest jetzt besser in dein Zimmer gehen!«
»Was soll ich bloß machen?« Ich hob den Kopf und sah zu ihm hinauf.
Lucius überlegte einen Augenblick. »Du könntest an der Abschrift weiterarbeiten. Wenn ich mich nicht täusche, bist du in den vergangenen Wochen nicht allzu oft dazu gekommen. Ich würde mich freuen, wenn du sie beenden könntest.«
Das war es nicht, was ich hören wollte. »Glaubt Ihr, Marcius kommt zurück?«, schniefte ich.
»Bestimmt bevor du mit der Abschrift fertig wirst, was bedeutet, dass es sich in jedem Fall noch endlos in die Länge zieht.« Lucius lächelte schief und nahm seine Hand von meiner Schulter. Filippa erschien neben ihm. Auf ein Zeichen von ihm brachte sie mich in unser Zimmer und versuchte mich, so gut es ging, zu trösten.
»Sei nicht traurig. Er wird schon bald wiederkommen«, sagte sie.
»Meinst du?«
»Ganz sicher. Warum sollte es anders sein als sonst?! Marcius ist oft für längere Zeit fortgeritten und immer zurückgekehrt.«
»Ja, das stimmt«, gab ich zu. »Aber jetzt ist er nicht zu Verhandlungen geritten, sondern in den Krieg!«
Filippa wusste nichts darauf zu erwidern.
Wir legten uns schlafen. Was hätten wir auch sonst machen können? Im Haus war es still. Ich schloss die Augen und versuchte, Marcius herbeizudenken. Ich wollte ihn neben mir spüren, seinen Arm, wie er sich langsam unter meinen Nacken schob. So wie damals in Schweden oder im Flugzeug. Oder in der Nacht, bevor wir das erste Mal zum Janiculum geritten waren. Es gelang mir nicht. Sosehr ich mich auch bemühte, mein Bett blieb leer. Ich konnte ihn nicht fühlen, nur hören. Ich komme wieder, ich komme wieder, ich komme wieder! Seine Stimme wurde immer leiser.
Staub zu Staub
Ich befolgte Lucius’ Ratschlag und arbeitete wieder regelmäßig in der Bibliothek. Tag für Tag. Ab und zu drangen von der Front Nachrichten zu uns. Cäsar nahm eine Stadt nach der anderen ein und rückte immer weiter vor. Pompeius, dem es nicht gelungen war, größere Truppenverbände auszuheben, floh mit seinen Soldaten und zahlreichen Senatoren vor Cäsar in Richtung Süditalien. Ständig fragte ich mich, wo Marcius wohl gerade war und ob es ihm gutging. Aber wir hörten nichts von ihm.
Lucius weigerte sich, Rom zu verlassen. Kleon hatte mehrfach versucht, ihn zur Abreise zu bewegen. »Wenn du bleibst, werden alle glauben, du hättest dich auf Cäsars Seite geschlagen«, warnte er.
Lucius hatte nur sein Kinn nach vorn gereckt und gesagt: »Lächerlich! Ich werde doch nicht Rom verlassen, nur wegen Cäsar. Wer bin ich denn?!«
Also blieben wir.
Mit meiner Arbeit kam ich gut voran. Inzwischen hatte ich schon die ersten einundzwanzig Gesänge kopiert und den zweiundzwanzigsten fast fertig. Nach wie vor begriff ich vieles nicht von dem, was in der Ilias stand. Doch die Grausamkeit der Verse war unübersehbar.
Schwenkt’ in der rechten Hand, wutvoll dem göttlichen Hektor,
Spähend den schönen Leib, wo die Wund’ am leichtesten hafte.
Rings zwar sonst umhüllt’ ihm den Leib die
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