Tender Bar
eine offenbar noch nie da gewesene Leistung. Keine Angestellte in der Geschichte dieser Abteilung war an ihrem ersten Tag Topverkäuferin gewesen, sagte die Geschäftsführerin, als sie mir eine Bonbonniere überreichte. »Was ist das?«, fragte ich.
»Der Verkäufer des Tages gewinnt einen Preis. Der heutige Preis ist eine silberne Bonbonniere.«
»Gratuliere«, sagte eine der Suffragetten, eine Frau namens Dora mit Brillengläsern so groß wie Bildschirme. Ihrem falschen Tonfall entnahm ich, dass sie zweitbeste Verkäuferin des Tages war und offenbar schon ein Auge auf die Bonbonniere geworfen hatte.
Am nächsten Tag passierte das Gleiche. Ich verkaufte Ware im Wert von achthundert Dollar und gewann ein Set Steakmesser. Die ganze erste Woche verkaufte ich bei weitem mehr als die Suffragetten und am Sonntag brach ich einen lange bestehenden Abteilungsrekord, ähnlich wie Roger Maris mit seinen 61 Home Runs in einer einzigen Saison. Ich setzte Ware schneller um, als Lord & Taylor nachfüllen konnte, und nicht nur Waterford. Ich verkaufte genug Kerzen, um das Shea Stadium bei einem Abendspiel zu erhellen, genug Badetücher, um das Wasser in der Manhasset Bay aufzusaugen.
Die Suffragetten in der Heimdekor-Abteilung funkelten mich den ganzen Tag böse an, als stellte ich mich gegen ihr Wahlrecht. Ich war ihr schlimmster Alptraum: Jung, energievoll, ohne die Fußbeschwerden, von denen sie nach jahrzehntelangem Verkaufsstehen geplagt wurden – und dann riss ich auch noch rücksichtslos den täglichen Preis an mich, auf den sie eigentlich zählten, um ihr Gehalt aufzubessern. Ich selbst funkelte mich auch böse an, sobald ich mich in einer der verspiegelten Musikboxen sah. Schlimm genug, dass ich einen Job angenommen hatte, der unter meiner Würde war. letzt sah es fast so aus, als hätte ich meine wahre Bestimmung gefunden. Ähnlich einem Wasserlauf hatte ich mir meinen eigenen Weg gesucht. War das der Grund für mein schlechtes Abschneiden in Yale? Der Grund, warum Sidney mich zurückgewiesen hatte? Weil ich zu hoch hinaus gewollt hatte? War es mein Schicksal, der beste Verkäufer in der Geschichte der Abteilung Heimdekor zu sein? Früher war ich das Gefühl nicht los geworden, dass ich einen dunklen Hang zum Versagen hegte. Jetzt grübelte ich über meinen unaufhaltsamen Erfolg in der Abteilung Heimdekor nach und was er vorhersagte.
Eine Sache aber fand ich noch beunruhigender und schrecklicher. Noch schändlicher. Die Arbeit gefiel mir. Die vielen Abende, an denen ich in der Umgehung von Manhasset durch Fenster gespäht hatte, meine große Sehnsucht nach schönen Häusern und hübschen Dingen, hatte mich irgendwie in einen Experten für Heimdekor verwandelt. In den Tiefen meines Unterbewusstseins hatte ich einen Fetisch, ein widerliches angeborenes Talent für Dinge rund ums Wohnen entwickelt. Selbst wenn ich mich nicht bemühte, verkaufte ich das Zeug wie kein anderer. Im Gegenteil, der Schlüssel zum Erfolg war mein Nichtbemühen. Je weniger ich es versuchte, umso besser war ich und ein umso perverseres Vergnügen zog ich aus dem Ganzen. Ich gewöhnte mich an meine Schürze wie ein Maultier an den Pflug.
Gepeinigt, verwirrt und beladen mit dem neuesten Preis, den ich als Topverkäufer des Tages ergattert hatte, kehrte ich jeden Abend mit zwei anderen Verkäuferinnen, Frauen in meinem Alter, im Publicans ein. Die eine arbeitete in der Kosmetik-, die andere in der Dessousabteilung. Sie fanden mich lustig und hielten mich für einen frechen Lügner, nicht etwa weil ich den Kunden Scheiß erzählte, sondern weil ich stets behauptete, ich hätte in Yale studiert.
»Ich dachte immer, wenn ich mal einen seelenabtötenden Job habe, dann als Anwalt«, sagte ich den beiden. »Aber vielleicht bin ich ja fürs Verkaufen von Heimdekor prädestiniert. Schließlich kann ich nicht ignorieren, dass es die erste Sache ist, in der ich gut bin.«
»Keine Sorge«, sagte Kosmetik. »Ich bin sicher, das ist bloß eine Phase.«
»Im Ernst?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Wenn alles, was du uns von dir erzählt hast, wirklich stimmt«, sagte Dessous, »dann kann es nicht mehr lange dauern, bis du den Job bei uns in den Sand setzt.«
Der Herbst kam. Tagsüber arbeitete ich bei Lord & Taylor und brach Verkaufsrekorde, die Abende verbrachte ich im Publicans und lernte von Cager und Fast Eddy, wie man Liars’ Poker spielt. In meiner Freizeit skizzierte ich meinen Publicans-Roman, sah mir mit Oma die Oprah Winfrey Show an oder ich
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