Tender Bar
die Leute von der Zerbrechlichkeit des Lebens, aber scheiß drauf, für mich ist die Liebe das Zerbrechliche, es ist schwer, jemanden umzubringen, aber die Liebe stirbt schneller als Schnittblumen, das ist meine Meinung, nuschel nuschel, scheiß nuschel.« Onkel Charlie wusste nicht, was er antworten sollte, doch dazu bekam er auch keine Gelegenheit, denn ich hatte versehentlich eine öffentliche Diskussionsrunde ausgelöst. Aus allen Richtungen brachten Männer ihre Meinung über Liebe und Frauen zum Ausdruck.
Ein Mann in einem flotten Seersucker sagte, die Liebe sei wie ein Rausch. »Der Euphorie folgt die Depression«, sagte er. »Erst geht’s rauf, und dann – runter. Das Maß der Trunkenheit bestimmt, wie schlecht es dir am nächsten Morgen geht – hab ich recht? Das Gleiche gilt für die Liebe. Für jeden Orgasmus musst du tief in die Tasche greifen.«
»Vielen Dank«, sagte Onkel Charlie. »Dauert bestimmt eine Woche, bis ich das Bild aus dem Kopf habe.«
Ein Mann neben Seersucker, dessen Frisur an ein großes, über seinen Kopf ausgebreitetes Tabakblatt erinnerte, trat vor. »Okay, Folgendes zu schönen Frauen«, sagte Tabakblatt. »Schöne Frauen sind oft einsam, aber nie allein. Versteht ihr, sie haben immer einen Freund, und deshalb sind sie vielleicht verletzbar, aber nie verfügbar. Das ist eines der großen Rätsel im Leben.«
Onkel Charlie nickte. »Rätsel«, sagte er.
Hinter mir hörte ich eine Stimme. Als ich mich umdrehte, war niemand da. Ich senkte den Blick. Auf einer Höhe mit meinem Nabel sah ich eine große Adlernase. Zu der Nase gehörte ein Mann mit stechend blauen Augen und Wangen mit tiefen Shirley-Temple-Grübchen. In einem völlig unpassenden Bass behauptete dieser Gnom mit Grübchen, Frauen seien höher »entwickelt« als Männer und folglich zu widersprüchlichen Emotionen fähig. Sie könnten einen Mann zugleich lieben und hassen, sagte er. Bei Männern dagegen gehe es immer um alles oder nichts.
Onkel Charlie summte ein paar Noten von »All or Nothing at All«. »In der Liebe halte ich nichts von halben Sachen«, erklärte er Grübchengnom.
Ein vierter Mann mit einer riesigen, flachen Stirn, die förmlich dazu einlud, etwas darauf zu schreiben, warf ein, dass Frauen, wenn überhaupt höher entwickelt, dies eher im Sinne von außerirdischen Lebewesen seien. »Habt ihr schon mal auf das periphere Gesichtsfeld bei Frauen geachtet?«, fragte er. »Angenommen, ein Mann sieht eine Frau im Zug, dann starrt er sie an wie ein Spürhund ’ne tote Ente. Er kann nicht anders. Aber eine Frau kann dich abschätzen, ohne den Kopf zu drehen. Wenn du eine Frau anschaust, spürt sie es, Kumpel, sie spürt es, und sie schaut zurück, auch wenn es so aussieht, als würde sie Zeitung lesen. Ich sage euch, Frauen sind außerirdische Wesen.«
Onkel Charlie brummte zustimmend und zeigte auf Riesenstirns Brust.
»Und es gibt noch ein Phänomen bei Frauen, über das keiner gern redet«, sagte Seersucker zu Tabakblatt, Grübchengnom und Riesenstirn. »Sie haben die Fähigkeit zu verschwinden. Wie Gespenster.« Manchmal, gestand Seersucker, entdeckte er eine Frau und folgte ihr ein oder zwei Straßen, nur um zu sehen, wohin sie ging. War sie verheiratet? Hatte sie ein nachmittägliches Stelldichein mit einem Liebhaber? Wollte sie Unterwäsche kaufen? Irgendwann huschte die Frau unweigerlich in einen Toreingang oder ein Geschäft, und wenn Seersucker hinterherging, zack, war sie verschwunden.
»Du kranker Arsch«, sagte ein dienstfreier Polizist, der einen Spanish Coffee trank. »Kannst du dir vorstellen, wie viele Widerlinge von deiner Sorte ich jeden Tag schnappe?«
Seersucker, Tabakblatt, Grübchengnom und Riesenstirn sahen alle beschämt auf den Boden.
»Wisst ihr, wen ich absolut unattraktiv finde?«, sagte Onkel Charlie. »Sigourney Weaver.«
»Ich liebe sie!«, sagte Seersucker. »Für die würde ich Frau und Kinder verlassen.«
»Du würdest deine Frau und Kinder sogar für Earl Weaver verlassen«, sagte Tabakblatt.
»Das mit Sigourney Weaver meinst du nicht ernst«, sagte Onkel Charlie.
»Todernst«, sagte Seersucker.
»Sieht ganz so aus«, sagte Grübchengnom.
Onkel Charlie hob die Hände vom Tresen, als wäre es ein heißer Herd. Er studierte die über der Bar hängenden Cocktailgläser und versuchte, das richtige auszusuchen, um es Seersucker über den Kopf zu schlagen. »In diesem Fall«, sagte er zu Seersucker, »gibt es nur eine unabwendbare Schlussfolgerung. Ich darf doch
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