Tender Bar
ziemlich gut darin bin«, sagte ich.
»Hast du dich bei Zeitungen beworben? Hast du deine Artikel aus der Yak Daily News verschickt? Hast du Kontakt mit der New York Times aufgenommen?«
»New York …? Ich bitte dich. Du hast genug getrunken. Kein Wodka mehr für dich.«
»Du hast immer von der Times geredet. Du hast immer gesagt, die Times sei dein Traum.«
»Ach ja?« Ich erinnerte mich nicht mehr. »Pass auf. Die Times ist nicht meine Kragenweite. Die Times ist wie – du. Es war schon ein Wunder, dass ich in Yale gelandet, und ein Wunder, dass ich dir begegnet bin. Aber kein Blitz schlägt dreimal hintereinander ein.«
»In diesem Leben muss man seinen Kopf riskieren, Trouble.«
»Ich hab meinen Kopf riskiert. Bei dir. Und du siehst, wohin das geführt hat.« Ich zog den Kopf in die Schultern. Sie lachte.
Nach dem Essen gingen wir auf der Madison Avenue spazieren und sahen uns die Schaufenster an. Sidney hielt meine Hand und schmiegte sich an mich. Ich hasste mich, weil ich sie so sehr begehrte.
Bei ihr zu Hause legten wir uns auf den Boden in ihrem Wohnzimmer und unterhielten uns hauptsächlich über Bücher. Sie lese jetzt mehr als während des Studiums, sagte sie, und entdecke eine neue Gruppe aufregender junger Schriftsteller. Ich beneidete jeden Autor, den sie nannte, weniger weil sie begabt waren und veröffentlicht wurden, sondern weil sie Sidney beeindruckt hatten. Außerdem vermutete ich, dass es nicht ihre Entdeckungen waren, sondern Empfehlungen von Erbsohn. Ich wälzte mich über den Boden zu Sidney und küsste sie. Ihre Lippen waren weicher als in meiner Erinnerung. Ich zog ihr die Bluse aus, umfasste ihre Brüste, drückte ihr die Knie mit meinem Bein auseinander. Sie öffnete meinen Gürtel, presste sich an mich und sagte immer wieder ooh und ja. Dann hörte sie unvermittelt auf und wich zurück. »Moment«, sagte sie. »Wir hatten einen schönen Abend. Den sollten wir nicht zerstören.«
»Können wir ihn so zerstören?«
»Ich möchte alles langsam angehen.«
Eine innere Stimme sagte mir, dass Sidney alles langsam angehen wollte, weil ich im Publicans herumhing und bei Lord & Taylor arbeitete. Wäre ich durch die Tür marschiert und hätte von meinem neuen Job in der Wall Street erzählt, wären wir jetzt schon nackt. Ich sprang auf. Benommen. Das Zimmer drehte sich. Ich hatte zu viel getrunken. Aber es reichte noch lange nicht. Sidney sprang ebenfalls auf, packte mich am Arm und bat mich zu bleiben, sie könnte mir alles erklären. Ich löste meinen Arm. Wenn ich auf der Stelle ging, konnte ich noch einen Funken Stolz retten. Und noch wichtiger, ich erwischte den Zug um 1.19 Uhr und wäre noch vor der letzten Runde im Publicans.
28 | TIM
Die Bar war brechend voll. Ich zwängte mich durch ein Quartett von vier Vertretern, die sich über ihre Bosse beklagten oder über ihre Bonusse, das war schwer zu sagen, und vorbei an einem Mann, dessen Frau ihn vor kurzem wegen einer anderen Frau verlassen hatte. Onkel Charlie war ziemlich damit beschäftigt, alle gleichzeitig zu beraten. Als er mich sah und den Ausdruck auf meinem Gesicht deutete, warf er den Kopf nach hinten, als würde jemand mit Riechsalz unter seiner Nase wedeln.
»Wer ist gestorben?«
»Ich. War eben mit Sidney essen.«
»Weiber«, sagte er und knallte eine Flasche Dewars-Whiskey auf die Theke. »Sind alle gleich.«
Die Vertreter und der Hahnrei brummten solidarisch.
Onkel Charlie schenkte ein und schenkte ein, bis er mir ein bis zum Rand gefülltes Glas Scotch hinstellte. Einen Trevi-Brunnen voller Scotch. Dann öffnete er wieder Bierflaschen für die Vertreter und verlor mich aus den Augen. Ich sah mich um. Andere hätten vielleicht nur einen bunt zusammengewürfelten Haufen Trinker gesehen, ich aber sah mich unter meinesgleichen. Blutsverwandten. Mitreisenden. Alle möglichen Typen waren da – Börsenmakler und Bankräuber, Sportler und Kranke, Mütter und Supermodels – aber im Inneren waren wir alle gleich. Jeder war durch etwas oder von jemandem verletzt worden, und so waren alle ins Publicans gekommen, denn mit seinem Schmerz ist keiner gern allein, was man dann braucht, sind viele Menschen.
Onkel Charlie wandte sich wieder zu mir. »Okay«, sagte er, »schieß los.«
Ich atmete tief durch. Schlechte Idee. Der Sauerstoff, verbunden mit dem Scotch, machte mich wieder traurig – und nuschelig. Später erzählte mir Onkel Charlie, ich hätte so in etwa gesagt: »Immer wenn jemand stirbt, reden
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