Tender Bar
das genügte ihm noch nicht. Er kam hinter der Theke vor und küsste mich auf die Wange. »Die verdammte New York Times«, sagte er. Das letzte Mal hatte ich ihn so stolz erlebt, als ich elf war, er mir Über- und Unter-Wetten erklärte und ich es sofort verstand. Colt machte einen Diener und sagte das Gleiche wie vor ein paar Jahren, als ich in Yale angenommen wurde, das Gleiche, was er immer sagte, wenn ich etwas richtig machte. »Muss an den vielen Zweierreihern liegen.«
Steve flippte völlig aus. Ich musste ihm bestimmte Stellen des Vorstellungsgesprächs wiederholen, immer wieder den halbnackten Frost beschreiben, den Wachmann und die entsetzten Gesichter, als ich durch die Redaktion marschierte. Er untersuchte mein Veilchen im Thekenlicht, und ich dachte schon, gleich würde er ein Okular holen, um es noch besser sehen zu können. Mir war nicht klar, was ihn mehr beeindruckte, mein blaues Auge oder der neue Job. Aber er war mehr als beeindruckt. Er fühlte sich gerechtfertigt. Sein angeborener Optimismus wurde bestätigt. Steve glaubte, dass am Ende alles gut wird, dass einer Tragödie immer eine Komödie folgt, dass allen bösen Jungs im Publicans gute Dinge widerfuhren, und jetzt war dem Neffen seines ältesten Barmannes etwas außerordentlich Gutes widerfahren.
»Extraausgabe! Extraausgabe!«, rief er. »Junior ist ein Timesmann!«
Dann war es auch schon genug über mich. Steve und die Männer wandten sich wieder dem Fernseher zu, wo die New York Mets in einem spannenden Match über sechzehn Innings mit den Houston Astros die Meisterschaft der National League ausspielten. Während alle tranken und das Spiel verfolgten, huschte ich in die Telefonzelle und rief meine Mutter an.
Ein paar Tage, bevor ich bei der Times anfing, gewannen die Mets das sechste Spiel der Finalserie um die Baseballmeisterschaft. Mit dem allerletzten Schlag, als sie praktisch schon tot waren, kamen sie zurück und überraschten die Boston Red Sox im zehnten Inning. Jeder im Publicans wusste, jetzt würden sie auch die ganze World Series gewinnen. »Die armen Schweine in Boston«, sagte Onkel Charlie zu mir, nachdem Ray Knight zum entscheidenden Punkt über die Home Plate gelaufen war. »Stell dir die vielen Bars in New England vor. Ach. Irgendwie tun sie mir leid.« Onkel Charlie liebte sichere Verlierer, und kein sicherer Verlierer war tragischer als die Sox. Einen Augenblick schämte ich mich für meine ungetrübte Freude über den Sieg der New York Mets.
Nach meiner Schätzung würde die Siegesparade der Mets durch Manhattan am gleichen Morgen und zur gleichen Stunde stattfinden, wenn ich meinen ersten Arbeitstag in der Times antrat. Dies war von allen Zeichen, die mir das Universum jemals geschickt hatte, das lauteste und klarste. Entgegen allen Erwartungen waren mein Team und ich keine Versager mehr. Mein neues Leben, mein richtiges Leben, mein Leben als Gewinner setzte endlich ein. Ich war über mein früheres Versagen, über den gefährlichen Reiz des Versagens hinweg und ließ meine kindliche Unentschiedenheit, ob ich es versuchen sollte oder nicht, hinter mir.
Nur ein schwaches Glied gab es noch, das mich mit meinem alten Leben und meinem Selbstverständnis als hoffnungsloser Fall verband. Sidney. In dieser Woche hatte ich wieder einen Brief von ihr erhalten. Sie liebte mich immer noch, vermisste mich immer noch, brauchte immer noch Zeit. Ein Foto von ihr lag bei. Ich stand im Publicans, kurz nachdem das sechste Spiel vorbei war, las den Brief erneut und starrte auf das Foto, während die Siegesfeier um mich herum tobte. In der Bar herrschte das reinste Chaos. Wir alle waren erfüllt vom Whiskey, erfüllt von einem unvernünftigen Glauben an uns selbst und an die Zukunft, ausgelöst durch das Glück unserer Mets – und plötzlich kam mir eine Idee. Ich bat Fuckembabe, mir einen Stift und eine Briefmarke aus Steves Kellerbüro zu holen. Er antwortete, entweder solle ich im unteren Regal nachsehen oder verdammt nochmal selber gehen. Onkel Charlie gab mir schließlich Stift und Briefmarke. Ich strich meine Adresse auf Sidneys Umschlag durch und schrieb ihre darauf. Dann klebte ich den Umschlag samt Brief und Foto im Inneren wieder zu und zwängte mich durch die Menge zur Tür hinaus zum Briefkasten. Mein glücksbringender Brietkasten. Derselbe, von dem aus ich meine Arbeitsproben an die Times geschickt hatte.
Für mich gab es keinen Zweifel mehr. Wenn ich Sidney schrieb, sie solle sich alle Zeit der Welt lassen, würde
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