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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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über meinen Vater hätte. Mit Erfolg. Es war nicht viel, aber faszinierend. Ich nahm die Mappe mit in die Redaktion und las alles, als handle es sich um die Pentagon-Papiere. In einem Artikel, der kurz nach dem Auftritt der Beatles bei Ed Sullivan erschienen war, wurde mein Vater als Rock’n’Roll-Fachmann zitiert. Beim Lesen fing ich an, »I Want to Hold Your Hand« zu pfeifen. »Wer verdammt wagt hier zu – pfeifen?«, schrie Smoky the Bastard.
    Viele Reporter und Redakteure hielten inne und drehten sich um.
    »Ich?«, sagte ich.
    »Pfeifen in der Redaktion bringt Unglück – Dumpfbacke!«
    Alle starrten mich an. Mir fiel nichts ein, was ich hätte erwidern können. Als sich alle wieder grinsend ihrer Arbeit widmeten, sah ich auf die Wanduhr. Halb sechs. Wenn ich auf der Stelle ging, würde ich es noch zur Happy Hour ins Publicans schaffen.
    Zerknirscht lief ich zur Penn Station und stieß vor dem Penta Hotel auf einen Tumult. Feuerwehrwagen. Polizei. Scharen von Schaulustigen. »Was ist hier los?«, fragte ich eine Frau.
    »Das Hotel brennt.«
    Meine große Chance. Ich huschte in eine Telefonzelle und rief in der Lokalredaktion an. Ein Redakteur nahm ab. »Hallo, hier ist JR Moehringer!«, sagte ich. »Ich stehe hier vor dem Penta, und wie es aussieht, brennt das Hotel ab!«
    »Wer ist da?«
    »JR Moehringer. Ein neuer Volontär. Ich kann den Rauch riechen.«
    »Das Yenta – brennt? Sie riechen Rauch?«
    »Ja. Brennt mir in der Nase. Ganz dick.«
    »Gütiger Himmel. Okay, ich stell Sie zur Schlussredaktion durch. Sagen Sie, was Sie sehen. Schildern Sie ein bisschen die Atmosphäre. Dann suchen Sie sich einen Verantwortlichen. Bob, kannst du ein Diktat von einem gewissen Guillermo Winger aufnehmen?«
    Ich werde zur Schlussredaktion durchgestellt. Welch ein Glück für mich, dass das Penta in Grund und Boden brannte. Meine Tage als Sandwich holender und Durchschläge trennender Volontär waren gezählt. Die Redakteure würden mich unverzüglich zur Probe schicken. Ich freute mich schon darauf, Onkel Charlie und Steve zu erzählen, wie ich diese ›Pentagonie‹ ausgeschlachtet hatte – damit würde ich in der Bar viel Lachen ernten. Da ich wusste, dass die Männer in der Kneipe jedes kleinste Detail über den Brand hören wollten, drehte ich mich um, um alles zu beobachten. Die Feuerwehrmänner wirkten ungeheuer ruhig. Sie standen herum, lachten und plauderten. Die Polizisten ebenso. Keiner schien auch nur im geringsten besorgt. Ich sah mir das Hotel an. Keine Flammen. Keine zersplitterten Fenster. Kein Qualm. Trotzdem roch ich den Rauch. Ich drehte mich abermals um. Auf der anderen Seite der Telefonzelle stand ein Brezelwagen. Der Verkäufer quatschte mit den Feuerwehrmännern und scherte sich nicht um seine Brezeln, die schwarz wurden und schweflige Dampfwolken verströmten, die mir direkt ins Gesicht wehten. Oh-ooh. Ich hing den Hörer ein und rannte zu dem Feuerwehrmann mit dem größten Hut. Er hatte ein derart rosa-teigiges Gesicht, dass er der Bürgermeister von Manhasset hätte sein können. »Was geht hier vor, Chef?«, sagte ich. »Ich meine, Officer. Was gibt’s? Ich bin JR Moehringer. Von der Times.«
    »Ganz ruhig, Kleiner, ganz ruhig. Alles im grünen Bereich. Wir üben. Machen wir einmal im Monat.«
    »Das Hotel brennt gar nicht?«
    »Ach was.«
    »Ganz sicher?«
    Als der Feuerwehrmann die Enttäuschung in meiner Stimme hörte, beugte er sich zu mir, um festzustellen, ob ich womöglich ein aufstrebender Brandstifter wäre. Deprimiert schlich ich wieder zum Münztelefon und wählte die Lokalredaktion an. Am Apparat war derselbe Redakteur. »Winger!«, sagte er. »Entschuldigen Sie die Unterbrechung. Habe Sie offenbar abgehängt, als ich Ihren Anruf durchstellen wollte. Bleiben Sie dran, gleich kommt Bob. Der nimmt Ihr Futter auf.«
    »Hat sich erübrigt.«
    »Was?«
    »Das Penta scheint gar nicht zu – brennen. Per se.«
    »Was?«
    »Ist bloß eine Übung.«
    »Eine was?«
    »Eine Übung.«
    »Winger, um Himmels willen, Sie haben doch gesagt, Sie riechen den Rauch.«
    »Stimmt. Als ich mit Ihnen sprach – eigentlich ist es eine komische Sache – stand ich neben einem Brezelwagen. Und die Brezeln sind verbrannt.«
    Ich hörte den Redakteur keuchen, als hätte er ebenfalls Brezelqualm abbekommen. Dann atmete er durch und brüllte Bob an, er solle sich zurückziehen. »Fehlalarm«, hörte ich ihn sagen. »Irgendein Volontär … Münztelefon vor dem Penta .., verbrannte Brezeln …« Was Bob

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