Tender Bar
der Mets sein, dessen Würfe nicht ein einziges Mal getroffen wurden. Er würde der nächste Tom Seaver sein, während mich, Edward R. Murrow-ringer, Mr Salty, eine Zukunft als ältester Volontär in der Times erwartete. McGraw würde eines Tages in die Hall of Fame eingehen, und bei der Aufnahmefeier würden die Männer aus der Bar sich leise über die beiden Cousins unterhalten, die sich so unterschiedlich entwickelt hatten.
Mich überkam ein heftiger Anflug von Neid und gleichzeitig Stolz, vor allem aber schämte ich mich. Als ich sah, mit welchem Ernst und Eifer McGraw sein Wurfrepertoire durchspielte, wurde mir klar, dass mein Cousin mehr als ein angehender Profispieler war. Er war ein aufopferungsvoller Handwerker, und der Lohn seiner harten Arbeit war viel mehr als nur die Beherrschung verschiedener Würfe. Er beherrschte sich selbst. Er arbeitete nicht nur hart, weil er begabt war, sondern weil er wusste, harte Arbeit war der richtige Weg für einen Mann, der einzige Weg. Er war nicht, wie ich, von der Angst gelähmt, einen Fehler zu begehen. Wenn einer seiner Würfe vor mir auf den Boden tropfte oder über meinen Kopf flog, kümmerte es ihn nicht. Er experimentierte, erforschte, suchte sich selbst und seinen Weg zur Wahrheit durch Ausprobieren. Ganz gleich, wie albern er bei einem Wurf aussah oder wie weit er das Ziel verfehlte – beim nächsten Versuch war er konzentriert, selbstbewusst, locker. Den ganzen Nachmittag verlor er nicht ein einziges Mal den Gesichtsausdruck, den er schon damals hatte, als wir noch Jungen waren. Er arbeitete hart, aber er hatte nie aufgehört zu spielen.
Unser Wurfspiel, für McGraw bloß eine Lockerungsübung, war für mich ein Wendepunkt. In nur einer Stunde brachte er mir mehr bei, als ich von den Redakteuren bei der Times in den letzten zwanzig Monaten gelernt hatte. Als McGraw wieder nach Nebraska fuhr, ging ich in die Redaktion und wurde der beste Volontär, der ich sein konnte. Ich forderte mich selbst, streckte mich, und gegen Jahresende befanden die Redakteure, ich sei einen Versuch wert. Einen Monat lang – im Januar 1989 – sollte ich als gleichgestellter Reporter unterwegs sein. Danach gab es eine offizielle Beurteilung meiner Arbeit. Und anschließend, deutete ein Redakteur an, wäre ich vielleicht genau der eine Volontär, den das trügerische Ausbildungsprogramm hervorgebracht hatte. Ich war überglücklich. Dann gramgebeugt.
»Ich kriege einen Anfall«, sagte ich zu Bob the Cop. »Mein Herz pocht.«
»Das tut es bei jedem«, erwiderte er.
»Aber meins pocht zu stark.«
»Gib Bescheid, wenn es ganz aufhört zu pochen.«
»Irgendwas stimmt nicht mit meinem Herzen.«
»Rauch eine Zigarette. Bleib locker.«
»Irgendwas stimmt nicht, ich sag’s dir.«
Bob the Cop fuhr mich ins Krankenhaus. Ein Arzt aus der Notaufnahme legte eine Infusion an und führte mehrere Tests durch, auch ein EKG, doch das Ergebnis war negativ. »Stress«, sagte der Arzt, als ich mein Hemd zuknöpfte. »Fahren Sie den Stress runter.«
Gegen Ende 1988 jedoch war meine Festung gegen den Stress eine Stressfabrik geworden. Der Börsenkrach, in dem die Aktien an einem einzigen Tag den schlimmsten Preisrutsch seit der Depression zu verzeichnen hatten, führte dazu, dass die Wall Streeters einen völlig neuen Ton ins Publicans trugen. Börsenmakler und Händler, die gewöhnlich gut gelaunt hereingeschneit kamen, saßen jetzt allein in einer Nische und brabbelten von ihren »Positionen«. Ein Treffpunkt für Millionäre war eine Zufluchtsstätte für Leute geworden, die knapp bei Kasse waren. Ein schönes junges Paar, das früher alle paar Abende in Festtagskleidung in die Bar gerauscht kam, auf dem Weg zur Carnegie Hall oder ins Lincoln Center, die Gerald und Sara Murphys aus Manhasset, stolperten jetzt herein, betranken sich und stritten. Einmal war ich da, als sie ihm einen Aschenbecher an den Kopf warf und ihn anschrie, weil er mit dem Au-pair schlief, und er schrie zurück, ihre Verschwendungssucht bringe sie alle ins Armenhaus.
Für mich wird der Börsenkrach für immer durch Mr Weekend verkörpert sein. Wochentags trug er Maßanzüge, gestärkte weiße Hemden und Krawatten von Hermes. Von Montag bis Freitag hob er nie die Stimme, war immer wie aus dem Ei gepellt, und wenn ich ihn im Zug traf, las er meist das Wall Street Journal, und zwar so gebannt, als gelte es, später einen Test zu bestehen. Jeden Freitagabend aber, nachdem er fünf Tage vergeblich versucht hatte, sein
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