Tender Bar
Picadilly Circus gehalten und sich nicht an die, wie heißt die noch mal, Umwelt angepasst. Hätten sie gelernt, ein Iglu zu bauen, wären sie nicht gestorben. Dumpfbacken.«
»Du hast also zwischen den Zeilen gelesen und ausgetüftelt, wie man ein Iglu baut und es dann probiert?«
»Ich sag dir, J.R., ich kann dir gar nicht dankbar genug sein, dass du mir dieses Buch geliehen hast. Ich bin nur auf der Stuhlkante gesessen.«
»Tatsächlich?«
»Ich konnte es nicht mehr weglegen. Deshalb war ich nicht hier. Ich musste lesen.«
»Und die Geschichte des Nahen Osten?«
»Las ich zuerst.«
Er gab mir eine kurze Zusammenfassung der palästinensischen Krise.
»Ein Glück, dass dich das nicht inspiriert hat, ein Flüchtlingslager in deinem Garten zu bauen«, sagte ich. »Du hast beide Bücher gelesen? Sechzehnhundert Seiten? In zwei Wochen?«
Bob the Cop zuckte die Schultern. Kein Problem. Im selben Moment schwor ich mir, Bob the Cop von jetzt an jedes Buch zu leihen, das ich nicht benutzte.
In der Bar war Bob the Cop schon lange mein bester Freund, aber die Geburt unseres Zwei-Mann-Buchclubs in jenem Winter hob unsere Freundschaft auf eine andere Ebene. Wir verbrachten jetzt mehr Zeit außerhalb der Bar zusammen. Er lehrte mich bestimmte Dinge – wie man einen Reifen wechselt, einen Haken mit Ködern bestückt, einen Rusty Nail trinkt – ein höllisches Gebräu aus Scotch und einem schottischen Whiskey-Likör – und ich revanchierte mich, indem ich ihm beibrachte, seine Polizeiberichte in klarere Prosa zu verpacken. Dabei war es nicht einmal ein ausgewogener Austausch. Von unseren Schreibsitzungen profitierte ich weit mehr als Bob the Cop. Ich konnte ihn nie davon überzeugen, dass es besser war »Der Mann sagte« zu schreiben als »Der Täter gab an«. Aber zugleich stimmte es mich nachdenklich, wenn ich mich zu ihm sagen hörte, es sei keine so gute Idee, seine Berichte mit außergewöhnlichen Wörtern zu spicken.
Wenn wir beide einen freien Tag hatten, fuhren wir in seinem alten zwanzig Fuß langen Penn-Yan-Boot in die City. Damit ich nicht fror, lieh er mir eine seiner NYPD-Jacken, und dann dümpelten wir um die Freiheitsstatue, fischten nach Flunder oder schipperten am South Street Seaport entlang. Oft stand ich im Bug seines Bootes und beobachtete, die Gischt im Gesicht, wie die Wolken um die Spitzen der beiden Türme schwebten. Später am Tag legten wir an Pier 17 an und holten uns ein Sandwich oder ein Eis. Wir versäumten es nie, einen Blick ins Publicans on the Pier zu werfen – es war immer leer. Bob the Cop quittierte die lange Reihe leerer Barhocker meistens mit einem Kopfschütteln. »Steve hat Ärger«, sagte er. »Trouble«, wiederholte ich, und Steve tat mir Leid, aber wie immer, wenn ich dieses Wort hörte, dachte ich nur an Sidney.
Wir waren ein merkwürdiges Duo, der Polizist und der Volontär, doch an Bob the Cop war vieles merkwürdig. Der stoische Geschichtenerzähler. Der brutale Bücherwurm. Der zähe Bursche mit dem weichen Kern. Einmal erzählte er eine derart rührende Geschichte von seinen Kindern, dass Cager sich die Augen trocken tupfte. Keine fünf Minuten später fragte ich Bob the Cop, ob seine Frau nicht misstrauisch sei, wenn er jede Nacht unterwegs war. »Ach, was«, sagte er. »Sie weiß, dass ich keine irische Schwuchtel bin.« Ich sagte, ich würde die Wendung nicht kennen. »Irische Schwuchtel«, sagte er. »Ein Kerl, der eine Kneipe links liegen lässt, weil er lieber eine Frau will.«
Seit Bob the Cop sich Bücher von mir auslieh, wirkte er wie verwandelt. Er war gesprächiger, äußerte seine Meinung auch zu verschiedenen esoterischen Themen. Die Bücher verhalfen ihm weniger zu neuen Ansichten als zu einem Vertrauen in seine eigene Meinung. Er war nicht wirklich glücklich, aber auch nicht mehr so gedrückt, und selbst sein Schritt wirkte ein wenig leichter. Er kam nicht mehr in die Bar gestiefelt, als laste das Gewicht der Welt auf seinen Schultern. Deshalb überraschte es mich, als ich Bob the Cop eines Abends traurig und missmutig an der Theke traf, vor sich einen Rusty Nail.
»Was ist los, Bulle?«
Er sah mich an, als wären wir uns nie begegnet.
»Hast du heute gearbeitet?«, fragte ich.
»Beerdigung.«
Auf der Theke lagen seine weißen guten Handschuhe.
»Jemand, den du kanntest?«
Keine Antwort.
»Du siehst fertig aus«, sagte ich.
»Beerdigungen schlagen mir aufs Gemüt. Besonders Beerdigungen von Polizisten.«
Er erzählte mir von der Feier.
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