Tender Bar
Dem mit der Flagge drapierten Sarg. Den weiß behandschuhten, steif salutierenden Händen. Den Dudelsäcken. Nichts auf der Welt, sagte er, ist auch nur annähernd so grausig wie Dudelsäcke.
»Aber du kanntest den toten Cop nicht?«, fragte ich.
»Ich kenne sie alle.«
Er rieb sich die Augen und trank dann den Rest seines Rusty Nail aus, schluckte ihn runter wie Eistee. »Du hast in der Times nie meine Geschichte nachgeschlagen, oder?«, fragte er.
»Nein.«
Er wartete, als müssten die Worte erst tief aus seinem Inneren nach oben treiben. Als Anfänger, sagte er, ungefähr in meinem Alter, war er Streife gelaufen, als er Schüsse hörte. »Es heißt immer, alles würde wie in Zeitlupe verlaufen«, sagte er. »Das stimmt. Du rennst und rennst, und deine Füße fühlen sich an wie Betonklötze.« Er bog in eine Straße ein, kam um eine unübersichtliche Kurve und vor ihm stand plötzlich ein Mann, der einen anderen Mann mit einer Knarre bedrohte. Als Bob the Cop dem bewaffneten Mann etwas zurief, drehte der sich um und zielte auf ihn. Bob the Cop drückte ab, der Mann war auf der Stelle tot.
»Gütiger Himmel«, sagte ich.
»Es kommt noch schlimmer«, sagte er. »Der Typ, den ich erschoss, war ein Polizist. Neunzehn Jahre dabei. In Zivil. Er wollte den anderen Typen gerade schnappen.«
Freunde des toten Polizisten wollten, dass Bob the Cop seine Marke zurückgab, selbst nachdem eine Untersuchung befand, dass die Schießerei ein Unfall war. Ein Unfall, wiederholte Bob the Cop. Die Freunde waren anderer Meinung. Sie lauerten ihm auf, übergingen ihn, verbündeten sich gegen ihn, schlugen ihn blutig. Deshalb wechselte Bob the Cop zur Wasserpolizei. Er brauchte einen Ort, wo er abtauchen und sich verstecken konnte.
»Hatte der Polizist Familie?«, fragte ich.
Bob the Cop starrte auf die Maserung der Theke. »Einen Sohn«, sagte er. »Ein Jahr später hat er sich umgebracht.«
Sämtliche Unterhaltungen, die ich mit Bob the Cop geführt hatte, stürmten wieder auf mich ein. Vermutlich hätte ich jeden Satz anders formuliert, wenn ich seine Vergangenheit gekannt hätte. Mir fiel ein, wie wütend ich war, als ich den Namen Kelly falsch geschrieben hatte. Als Fehler hatte ich es bezeichnet, der mir den Rest meines Lebens nachhängen würde, der für die Kelly-Söhne alles noch schlimmer machte – nachdem ein Polizist ihren Vater erschossen hatte.
Ich sagte Bob the Cop, dass mir das leid tat. Er winkte ab.
»Ein ehrlicher Irrtum«, sagte er. »Wie ich schon sagte, darum gibt es Bleistifte mit Radiergummi. Aber glaub mir, J.R., Revolver haben keine Radiergummis.«
38 | MICHELLE UND DIE FISCHERKÖNIGIN
Viele Leute hielten das Publicans für die Playboy-Villa von Manhasset. Zu den Grundelementen der Bar gehörte nicht nur, dass sie Zuflucht bot, sondern auch Sex, und daraus ergab sich fast zwangsläufig, dass die Leute es überall trieben. Auf dem Parkplatz, in der Toilette, im Keller – von Leuten, die sich ihre Hemmungen wegtranken, konnte niemand erwarten, dem stärksten aller Bedürfnisse zu widerstehen. Selbst das Personal wurde von hormonellen Unterströmen mitgerissen. Einmal erwischte man eine Kellnerin und einen Koch mitten im Liebesakt auf dem gleichen Hackblock, den Fuckembabe zum Zubereiten der Hamburger benutzte. Hinterher wurde oft darüber gewitzelt, wie komisch die Burger schmeckten, und Onkel Charlie konnte es nicht lassen, die Kunden immer wieder zu fragen, ob sie ihren Burger wirklich mit extra scharfer Soße wollten.
Im Frühjahr 1989 jedoch stieg die normale sexuelle Energie im Publicans um das Zehnfache an. Ein wahrhaft epidemisches Frühlingsfieber brach aus, alle taumelten wie benebelt durch die Bar, auch wenn nur einem aufmerksamen Beobachter aufgefallen wäre, dass sich die Atmosphäre vom Rest des Jahres unterschied. Jeden Abend standen wir draußen im Sonnenuntergang vor der Bar, in Gruppen von zwanzig, dreißig Männern und Frauen, sahen zu, wie sich der Himmel zu einem dunklen ätherischen Blau verfärbte – »ein Maxfield-Parrish-Blau«, wie eine Kellnerin bemerkte, als wir alle wieder ins Innere gingen. Nachdem wir den ganzen Winter über Dreck und Matsch in die Bar getragen hatten, nahm jetzt jeder ein Stückchen jenes blauen Himmels mit ins Publicans.
Der Schauspieler tauchte wieder auf. Er erzählte uns, er besuche wieder seine Mutter, doch das war gelogen. Er kurierte sein gebrochenes Herz. Ein schönes Starlet, eine unglaublich sexy Blondine, nach der wir
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