Tender Bar
erklären, dass Bücher nicht unbedingt denselben Zweck erfüllten wie Werkzeuge, dass es keinen klaren Unterschied gab, ob man sie benutzte oder nicht. Bücher gaben mir ein Gefühl der Genugtuung, es war schön, sie aufgereiht in Regalen und am Boden zu sehen. Sie waren der versöhnlichste Blickfang in meiner verwahrlosten Wohnung. Meine Bücher leisteten mir Gesellschaft, munterten mich auf. Und da jedes Buch, das ich seit meiner Kindheit besaß, vom Keller verschimmelt war oder keinen Umschlag hatte, war ich besonders pingelig. Ich schrieb nicht an den Rand, machte keine Eselsohren in die Seiten und lieh sie nie aus, schon gar nicht die Erstauflagen, die mir die Redakteure der Times Rook Review für meine kleinen Autoreninterviews gaben. Doch das alles konnte ich Bob the Cop nicht erklären, denn es hätte sich kleinlich angehört, also lud ich ihn für den nächsten Tag ein, um sich ein paar unbenutzte Bücher auszusuchen.
Und dann machte ich etwas Gemeines. Ich wählte eine furchtbar dicht beschriebene 842-seitige Analyse des Nahen Ostens aus, eine hoffnungslos langweilige Geschichte über Erforscher des Nordpols, und als Bob the Cop am nächsten Morgen zur Tür hereinplatzte (wie McGraw klopfte er nie an – ein Vorrecht großer starker Männer), sagte ich ihm, ich hätte mir erlaubt, ihm zwei Bücher auszusuchen, die ihm bestimmt gefielen. Ich wusste, wenn ich ihm diese gewaltigen undurchdringlichen Wälzer gab, würde er nie wieder welche wollen.
Zusammen wogen die Bücher mehr als ein gefrorener Truthahn, und als ich sie in Bob the Cops ausgestreckte Hände legte, schaute er mich so dankbar und zärtlich an, dass ich am liebsten gesagt hätte, Moment, war nur Spaß, ich würde ihm Bücher aussuchen, die ihm wirklich gefielen, Bücher von Jack London und Ernest Hemingway und Irwin Shaw. Hier, nimm Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf Nimm Nick Adams. Nimm sie alle, mein Freund. Doch es war zu spät. Bob the Cop hatte sich die beiden unlesbaren Bücher schon unter seinen massiven Arm geklemmt und sprang die Treppe hinunter.
Ich sah Bob the Cop zwei Wochen lang nicht mehr im Publicans und wusste, dafür gab es nur eine Erklärung. Er zermarterte sich das Hirn über die Bücher. Der Mann hatte sich hilfesuchend an mich gewandt, um sich fortzubilden, wie Helen Keller oder Booker T. Washington, aber ich hatte ihn sabotiert. Warum hatte ich ihn nicht einfach mit den Büchern zu Tode geprügelt und die Sache wäre erledigt gewesen?
Ein schwerer Schneesturm legte New York lahm. Die meisten Geschäfte und Büros waren geschlossen. Im Publicans aber war die Hölle los. Trotz der unpassierbaren Straßen kamen ganze Familien auf Schlitten in die Bar und blieben die ganze Nacht, weil zu Hause weder Licht noch Heizung funktionierte. Ich stand an der Theke, einen langen Schal um den Hals geschlungen, und versuchte die Kälte meiner Wohnung abzuschütteln, als Rollstuhl Eddy auftauchte. »›Rollin, rollin’, rollin’‹«, sang Colt. Colt sang immer die Titelmelodie aus Rawhide, wenn Rollstuhl-Eddie mit seinem Rollstuhl durch die Bar rollte, und Rollstuhl-Eddie konnte es nie ausstehen, was nur dazu führte, dass Colt noch lauter sang. Ich lachte, dann fiel mir ein, dass Rollstuhl-Eddie gegenüber von Bob the Cop wohnte. Ich fragte ihn, ob er seinen Nachbarn in letzter Zeit gesehen hätte. »Klar«, sagte er. »Gerade eben. Der ist in seinem Garten und baut eine von diesen Eishütten.«
»Wie bitte?«
»Eine von diesen Eishütten, in denen diese Schneeschuhflechter am Nordpol wohnen.«
»Wovon sprichst du eigentlich?«
»Mir fällt das Wort nicht ein – du weißt doch, diese Leute, die am Nordpol leben.«
»Eskimos?«
»Ja! Und wie heißen die Hütten, in denen sie wohnen?«
»Iglus?«
»Genau! Er baut so ein Iglu-Dingens, wo die Eskimos drin wohnen.«
»In seinem Garten?«
Ich stand kurz davor, aufzubrechen und der Sache nachzugehen, als Bob the Cop selbst hereinkam. Er zog seine Fausthandschuhe aus, knallte sie auf die Theke und orderte einen Drink.
Ich rückte zu ihm. »Rollstuhl-Eddie sagt, du hast ein Iglu gebaut«, sagte ich.
Er schniefte und blies in seine Faust. »Die Idee stammt aus dem Buch von dir«, sagte er.
»In dem Buch sind Pläne für Iglus?«
»Da ist ständig die Rede von den vielen britischen Waschlappen, die im 19. Jahrhundert den Nordpol erforschten und dabei umfielen wie die Fliegen, weil sie sich weigerten, wie die Eskimos zu leben. Die Briten haben den Nordpol für den
Weitere Kostenlose Bücher