Tender Bar
Geschichte nur schwer nachvollziehbar, doch ihr porzellangleicher Teint und ihre saphirblauen Augen faszinierten mich. Außerdem hatte ich ein paar frustrierende Verabredungen mit einer Doktorandin, die ich in der Stadt kennen gelernt und die eine recht unkonventionelle Auffassung von Hygiene hatte. Ihre Haare waren verzottelt, ihre Kleider zerknittert, ihre Füße schmutzig. Ich übersah ihre Schmuddeligkeit zugunsten ihrer anderen ausgleichenden Eigenschaften – einem überragenden Verstand und hypnotisierenden birnenförmigen Brüsten. Als sie mir erzählte, sie schreibe ihre Doktorarbeit über Meereslebewesen in New York City, nahm ich sie auf der Stelle mit ins Publicans und stellte sie Bob the Cop vor. Sie erzählte ihm, was in den Flüssen und Hafenbecken herumschwamm, und er erzählte ihr von den Wasserleichen. Als sie auf die Toilette ging, zog mich Bob the Cop beiseite und sagte aufgeregt: »Ich kann nicht fassen, dass du eine Mieze mit solchen Titten gefunden hast, die sich mit Fischen auskennt!« Cager dagegen gefiel meine Flamme nicht. Er forderte mich auf, Fischerkönigin unverzüglich abzusetzen.
»Warum?«
»Sie ist zu – klug.«
Ich schnaubte verächtlich.
»Wie du willst«, meinte er.
Ein paar Stunden später, in meiner Wohnung, lag ich mit Fischerkönigin auf dem Boden und hörte Sinatra. »Was findest du an Frank Sinatra so gut?«, fragte sie.
Niemand hatte mir diese Frage bisher gestellt. Ich versuchte es zu er-klären. Sinatras Stimme, sagte ich, ist die Stimme, die fast alle Männer im Kopf haben. Sie ist ein Musterbeispiel für Männlichkeit. Sie hat die Kraft, nach der Männer sich sehnen, auch das Selbstvertrauen. Und trotzdem, wenn Sinatra verletzt ist oder am Ende, verändert sich seine Stimme. Nicht dass ihr dann das Selbstvertrauen fehlte, doch knapp darunter ist ein Hauch von Unsicherheit, und man hört die beiden Impulse, die um seine Seele ringen, man hört Selbstvertrauen und Unsicherheit in einem Ton, weil Sinatra es dich hören lässt und er sich selbst entblößt, was Männer nur selten tun.
Zufrieden mit meiner Erklärung, drehte ich die Lautstärke auf, es lief eine von Sinatras ganz frühen Aufnahmen mit Tommy Dorsey.
»Hast du ihn schon immer gemocht?«, fragte Fischerkönigin.
»Immer.«
»Schon als Junge?«
»Vor allem als Junge.«
»Interessant.« Sie fuhr sich mit einem Finger durchs Haar, blieb bei einem Knoten hängen. »Was ich dich noch fragen wollte. Hat dein Vater etwas zurückgelassen, als deine Eltern sich getrennt haben? Vielleicht Fotos?«
»Meine Mutter hat alle Bilder von ihm weggeworfen.«
»Kleidungsstücke?«
»Ein paar Rollkragenpullover ließ er zurück. Solche Sachen. Müll.«
»Was noch?«
Ich schloss die Augen. »Ich erinnere mich an ein paar italienische Kochbücher mit roten Soßeflecken auf dem Umschlag.«
»Und?«
»Ich erinnere mich an einen dicken Stapel alter Sinatra-Alb …« Ich drehte mich zu ihr. Fischerkönigin sah traurig aus, aber stolz, beinahe selbstgefällig, so als hätte sie den Schluss eines Kriminalromans schon nach der ersten Seite erraten.
»Klar«, sagte sie. »Es musste einen Grund geben.«
»Vermutlich fing ich an, Sinatra zu hören, als ich die Stimme meines Vaters im Radio nicht finden konnte.«
Ich stand auf und lief unruhig auf und ab.
»Bist du jetzt schockiert?«, fragte sie.
»Du meinst, weil du mir diese schmerzliche Erkenntnis entrungen hast? Nein.«
Ich lag fast die ganze Nacht wach, und am nächsten Morgen verabschiedete ich mich für immer von Fischerkönigin. Wer wusste schon, welche beunruhigenden Wahrheiten sie als Nächstes entdecken würde? Das einzig Schwierige war, es Bob the Cop zu erklären, der sie natürlich noch möglichst oft zu sehen hoffte. Als ich ihm jedoch die Geschichte erzählte, verstand er mich. Mehr als die meisten Männer war Bob the Cop überzeugt, dass Dinge, die am Grund unserer inneren Häfen schlummern, von allein und zur gegebenen Zeit auftauchen sollten.
Ich dankte Cager, weil er mich gewarnt, und entschuldigte mich, weil ich an ihm gezweifelt hatte. Im Gegensatz zu Fischerkönigin reagierte er nicht selbstgefällig. »Nimm die Dummen«, sagte er. »Halte dich an die Dummen, Kleiner.«
Er scherzte zwar halbwegs, doch im selben Moment beschloss ich, Michelle nicht mehr anzurufen. Ich sah es als freundliche Geste ihr gegenüber, mich aus ihrem Leben zu entfernen. Frauen verwirrten mich zu sehr, daher verschwendete ich letztlich nur ihre Zeit. Michelle
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