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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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verdiente das Beste, und ich verdiente keine Bessere als Däumelinchen.
    Nicht lange nach meiner Entscheidung, mit Michelle zu brechen, trank ich mit Dalton und seiner neuen Freundin. Peter stand hinter der Theke und las ein paar meiner Seiten. Ich erklärte Peter, dass seine Korrekturen immer besser, meine Schreibkünste dagegen immer schlechter würden. Alles wird schlechter, sagte ich zu ihm. Peter wollte etwas Aufmunterndes erwidern, aber wie ein Schlafwandler lief ich zur Telefonzelle und wählte Sidneys Nummer.
    Es war zwei Uhr morgens. Ein Mann ging ran. Erbsohn? Ich sagte nichts. Ich lauschte, wie er lauschte. »Wer ist dran?«, fragte Sidney im Hintergrund. »Keine Ahnung«, sagte Erbsohn. Ich wollte nach Sidney fragen und dann in mein »My Funny Valentine« verfallen. Ich war betrunken genug und kühn vom Frühlingsfieber, aber ich war mir nicht ganz sicher, ob Singen die beste Methode war, um Sidney zurückzugewinnen, und noch während Selbstvertrauen und Unsicherheit um meine Seele stritten, war die Leitung tot.
     
     
     
39 | DER REDAKTEUR
     
    In jenem Frühjahr hob ich das selbst verhängte Embargo gegen meine Mutter auf. Ich rief sie wieder regelmäßig aus der Redaktion an. Sie fragte mich nie, warum ich meine Anrufe eingestellt hatte und warum ich sie jetzt wieder aufnahm. Sie verstand es, besser als ich, und knüpfte dort an, wo sie aufgehört hatte, bot mir Hilfe und Weisheit. Manchmal zitierte ich sie in der Bar – natürlich ohne sie als Quelle zu nennen – und die Männerbeglückwünschten mich zu meiner Klugheit.
    Du musst weiterschreiben, sagte meine Mutter. Du darfst nicht aufgehen. Wenn du das Kelly-Debakel vergisst, sagte sie, vergisst es die Times vielleicht auch. Es klang zu schön, um wahr zu sein, aber ich folgte ihrem Rat, weil mir nichts Besseres einfiel.
    Im Immobilienteil der Times erschien jede Woche ein unbedeutendes Feature mit dem Titel »Stellen Sie sich vor, Sie lebten in _.« Jeden Sonntag wurde eine andere Stadt vorgestellt, und ich schlug ein Stück über Manhasset vor. Die Redakteure gaben mir grünes Licht, und ich stromerte wochenlang die Plandome Road auf und ab, fragte Leute über meine Heimatstadt aus. Ich arbeitete gern wieder als Reporter und fand es toll, Dinge über Manhasset zu erfahren, wie beispielsweise, dass die Marx Brothers immer dorthin kamen, nur um sich zu betrinken. Als ich mich jedoch mit meinen Aufzeichnungen in die Redaktion setzte, war meine Schreibhemmung schlimmer als in der Zeit meines Barromans. Ich fühlte mich von Stephen Kelly Jr.s Stimme verfolgt und überprüfte fast zwanghaft immer wieder die Schreibweise von Namen und Wörtern, sodass ich nicht über die ersten paar Absätze hinauskam. Schließlich nahm ich die Geschichte an einem ruhigen Sonntag mit ins Publicans und setzte mich zu Maples, schliff meine Wörter, während er die Messingbuchstaben polierte. Ich schrieb die ganze Geschichte in Langschrift an der Theke, was vielleicht der Grund war, dass sie dort anfing und endete. Das letzte Wort der Geschichte hieß »Publicans«.
    Sie erschien an einem Sonntag im April 1989. Als ich abends ins Publicans kam, wartete Steve auf mich. Er trat zu mir sein Gesicht ungewöhnlich rot. Ich dachte, er sei wütend. Vielleicht hatte ich den Namen der Bar falsch geschrieben. »Junior!«, rief er.
    »Ja?«
    Er strahlte das freundlichste Lächeln ab, das er nur seinen engsten Freunden und größten Softball-Siegen vorbehielt, dann schloss er mich in die Arme. »Ein sehr guter Artikel«, sagte er.
    Meine Geschichte lag aufgeschlagen auf der Theke, sein Heineken stand darauf wie ein Briefbeschwerer.
    Die Geschichte war trivial, ein trockener Abriss über Manhasset – Schulen, Hauspreise, solche Sachen – und zweimal wurde der wichtigste Sammelpunkt erwähnt. Aber Steve tat, als hätte ich Finnegans Wake geschrieben. Er behauptete, ich hätte »ein Händchen für Wörter«, worauf ich einen Schritt zurücktrat, weil ich wusste, das war ein großes Kompliment. Steve war ein Wortmensch. Das zeigte sich allein darin, mit welcher Sorgfalt er den Namen für seine Bar und die Namen für uns ausgesucht hatte, ebenso wie in den Gästen, die zu ihm kamen. Alle waren sie eloquente Erzähler, raffinierte Schaumschläger, schwülstige Epiker. Hinzu kam, dass Steve, vielleicht mehr als alle anderen, Zeitungen schätzte, und seine Bar in der besten Zeitung der Welt erwähnt zu sehen, war eines der wenigen positiven Dinge, die ihm in den letzten Wochen

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