Tender Bar
sagte sie und zeigte mit ihrem Bleistift auf sein gläsernes Büro.
»Ich war doch hier.«
»Ich hab nachgesehen. Sie waren weg.«
»Wahrscheinlich beim Sandwich holen.«
»Wie schade. Er wollte Sie sprechen.« Sie riss die Augen auf als wollte sie mir zu verstehen geben, wie wichtig und unerhört der Wunsch des Redakteurs war, mich zu sprechen. »Aber jetzt ist er weg, ins lange Wochenende gefahren. Haben Sie am Dienstag frei?«
»War es eine gute Nachricht?«
Ihre Augen wurden noch größer, sie spitzte die Lippen und drehte einen unsichtbaren Schlüssel um.
»Dann war es eine gute Nachricht?«, sagte ich.
Sie drehte den Schlüssel erneut um und warf ihn über die Schulter. Dann schenkte sie mir ein herzliches, beglückwünschendes Lächeln. »Ich werde befördert«
»Dienstag«, sagte sie.
Wie passend. Am gleichen Wochenende, an dem Sidney Mrs Erbsohn wurde, wollte mich die New York Times zum Reporter machen. Wäre ich doch bloß am Schreibtisch gewesen, als der Redakteur mich sprechen wollte, dann hätte ich am Wochenende die glückliche Szene immer wieder durchleben können, was mir sicher geholfen hätte, das ständig wiederkehrende Bild von einer den Kirchengang entlang schreitenden Sidney auszulöschen.
Nein, sagte ich mir, so ist es besser. Die Vorfreude ist noch schöner.
Als ich im Publicans verkündete, ich sei befördert worden, herrschte eine Stimmung wie damals im sechsten Spiel der World Series. Die Männer warfen Servietten in die Luft und jubelten. Sie verwuschelten mir die Haare und baten Onkel Charlie um das Privileg, dem Reporter seinen ersten Drink als Reporter spendieren zu dürfen. Steve behauptete, mein Aufstieg hinge mit meiner Geschichte über Manhasset zusammen, die er immer nur meine »Geschichte übers Publicans« nannte.
Ich beschloss, mein letztes Wochenende als Volontär mit einem Besuch bei College-Freunden in New Haven zu verbringen. Am Samstag frühmorgens setzte ich mich in den Zug, noch immer ganz benommen von der großen Sause im Publicans. Ich war traurig, als der Zug in Sidneys Heimatstadt hielt, doch die Trauer hielt sich in Grenzen. Unsere Situation war geklärt. Wir hatten verschiedene Wege eingeschlagen und nun hatten wir beide gleichzeitig unsere jeweils getrennten Ziele erreicht. Alles ergab einen Sinn. Alles war aus einem bestimmten Grund geschehen. Hätte ich Sidney in den vergangenen drei Jahren den Hof gemacht und mich bemüht, sie Erbsohn zu entreißen, hätte ich nie die nötige Energie gehabt, Reporter bei der Times zu werden. Jedenfalls sah sie bestimmt hübsch aus, wenn sie den Gang entlang schritt, die blonden Haare hochgesteckt und das Gesicht atemberaubend schön, wenn Erbsohn den Schleier hob. Kaum auszudenken, wie quälend diese Vorstellung gewesen wäre, wenn mein eigener Freudentag nicht nur noch wenige Stunden entfernt gewesen wäre.
Bevor ich meine alten Freunde in Yale traf, besuchte ich meine älteste und standhafteste Freundin, die ausladende Ulme. Ich setzte mich unter ihr Geäst, trank einen Becher Kaffee und merkte, wie weit ich gekommen war. Ich schlenderte über das Unigelände, verharrte an jeder Bank und Steinmauer, wo ich als Student ohne Hoffnung war. Ich ging zu den Höfen und Straßenecken, an denen Sidney und ich uns geküsst oder unsere Zukunft geplant hatten. Ich lauschte den Glocken von Harkness, aß in meinem alten Buchladencafe zu Mittag und fühlte mich dankbarer und lebendiger als an meinem Abschlusstag, weil für mich der Aufstieg vom Volontär zum Reporter ein größeres Wunder war.
Am Dienstagmorgen stand ich um Punkt neun Uhr vor der Sekretärin des Redakteurs. Sie bedeutete mir zu warten, dann ging sie in sein Büro. Er telefonierte. Ich sah, wie sie auf mich zeigte. Der Redakteur winkte mich lächelnd zu sich. Kommen Sie rein, kommen Sie schon.
Er wies auf einen Platz gegenüber seinem Schreibtisch. »Übersee«, flüsterte er und zeigte auf den Hörer. Ich setzte mich.
Der für das Ausbildungsprogramm zuständige Redakteur war früher Auslandskorrespondent gewesen, und sein jahrelanges Globetrotten rund um die Erde hatte ihm etwas Weltgewandtes gegeben. Seine Glatze war tief gebräunt, und das spärliche Haar rund um den Kopf dicht und strohblond. Seine Kahlköpfigkeit war schick, beneidenswert. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug – zweifellos aus London – und seine Schuhe, schokoladenbraune Schnürschuhe, waren eindeutig handgefertigt in Italien. Irgendwer hatte mir einmal erzählt, dass dieser
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