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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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widerfahren waren. Ich hatte ihn vorübergehend vom anderen Publicans abgelenkt, dem sterbenden Publicans, das so gut wie bankrott war. Steve war so dankbar, so freundlich, dass ich mich nicht mehr bremsen konnte und ihm sagte, eines Tages würde ich vielleicht einen Roman übers Publicans schreiben.
    Er reagierte darauf genauso begeistert wie seinerzeit meine Mutter, als ich ihr meinen Plan an fast der gleichen Stelle in der Bar eröffnet hatte. »M-hm«, sagte er. Seine Reaktion verwirrte mich, und als ich später darüber nachdachte, fragte ich mich, ob Steve sein Publicans vielleicht jetzt schon als Buch sah. Schon am Eingang hatte man das Gefühl, als betrete man ein weitverzweigtes Buch. Dieses Gefühl hatte ihm vielleicht vorgeschwebt, als er die Bar zuerst Dickens nannte. Er hatte sein eigenes Dickens’sches Reich geschaffen, komplett mit einem Dickens’schen Nebel – Wolken aus Zigarren- und Zigarettenqualm. Sogar die Figuren hatte er alle mit Namen versehen. Vielleicht war das Publicans Steves großer amerikanischer Roman, und er konnte nicht verstehen, warum jemand einen zweiten Roman darüber schreiben wollte.
    Aber vielleicht, dachte ich, ging Steve auch einfach nur viel durch den Kopf.
    Meine Manhasset-Geschichte kam gut bei den Redakteuren an, aber nicht so gut, dass sie meine vergangenen Sünden vergessen hätten. Man teilte mir mit, meinen Fall in Kürze einer endgültigen Überprüfung zu unterziehen. Der Geheimausschuss würde zusammenkommen und ein für alle Mal entscheiden, ob J.R. Moehringer Times-tauglich war, und um ihnen die Beurteilung zu erleichtern, wurde ich gebeten, in einem Brief auf einer Seite folgende Frage zu beantworten: »Warum hat ein Yale-Abgänger so große Probleme mit der Rechtschreibung?«
    Bob the Cop schüttelte den Kopf, als ich ihm von dieser demütigenden Aufgabe berichtete. Ich überlegte schon, dem Geheimausschuss einen Brief mit ein paar wohlgewählten Kraftausdrücken zu schreiben, alle korrekt geschrieben, aber er riet mir, souverän zu bleiben und zu tun, was der Geheimausschuss verlangte. Bleib auf Kurs, sagte er. Du bist fast am Ziel.
    Eines Abends, ich saß noch spät in der Redaktion und setzte meinen Erklärungsbrief an den Geheimausschuss auf, erhielt ich einen Anruf von Bebe, meiner kneipenliebenden Freundin aus dem College, die Einzige aus meinem Freundeskreis, die JR Maguire wirklich »getroffen« hatte. Sie lud mich zu einem Drink ein. Wir trafen uns in einer Bar am Broadway, die wir beide mochten. Sie schlang mir die Arme um den Hals, als ich durch die Tür kam. »Komm, wir besaufen uns«, sagte sie.
    »Bevor ich mich schlagen lasse.«
    Wir bestellten Martinis. Sie kamen in Gläsern, die so groß waren wie umgedrehte Narrenkappen. Bebe erzählte mir den neuesten Klatsch aus unserem Jahrgang. Ich fragte sie nach Jedd dem Zweiten. Sie war ihm vor kurzem auf einer Party begegnet, er sah super aus. Während unserer Unterhaltung behielt sie den Barmann im Auge. Kaum waren unsere Gläser halb leer, bedeutete sie ihm, die nächste Runde zu bringen.
    »Moment«, sagte ich. »Ich hab nichts zu Abend gegessen. Wenn ich weitertrinke, falle ich vom Hocker.«
    Sie befahl dem Barkeeper, mich zu ignorieren und für Nachschub zu sorgen.
    Nach meinem dritten Martini schwankte sie vor und fragte: »Bist du betrunken?«
    »Gott, ja.«
    »Gut.« Sie schwankte zurück. »Sidney heiratet.«
    Der menschliche Körper besteht aus 206 Knochen und plötzlich spürte ich jeden einzelnen davon. Ich blickte zu Boden, dann auf Bebes Füße, dann zum Barkeeper, der mit verschränkten Armen und schmalen Augen dastand und mich aufmerksam musterte, als hätte ihn Bebe vorher gewarnt, was passieren würde.
    »Ich war nicht sicher, ob ich es dir sagen soll«, sagte Bebe unter Tränen.
    »Nein, es war richtig. Erzähl mir, was du weißt.«
    Sie wusste alles. Eine Freundin von Sidneys bester Freundin hatte ihr alles erzählt. Sidney heiratete Erbsohn.
    »Gibt es schon einen Termin?«
    »Am Wochenende vor dem Memorial Day.«
    »Gut. Das reicht. Mehr will ich gar nicht wissen.«
    Ich wollte nur noch bezahlen und schnellstens ins Publicans.
    Am Freitag vor dem Memorial-Day-Wochenende trennte ich wieder Durchschläge in der Redaktion, dachte an Sidney und wie ich die nächsten zweiundsiebzig Stunden überleben sollte. Als ich aufblickte, stand neben mir die Sekretärin, die für den für das Ausbildungsprogramm verantwortlichen Redakteur zuständig war. »Gerade eben hat er Sie gesucht«,

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