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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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über McGraws Arm, der nach der Operation nicht heilen mochte. Es war fraglich, ob McGraw jemals wieder Baseball spielen konnte. Wir beklagten den Verlust von Jimbo, der erst vor einigen Tagen nach Colorado gezogen war. Ich merkte, wie sehr Steve Jimbo vermisste. Er hatte versucht, Jimbo in Manhasset zu halten und angeboten, ihm einen Job an der Wall Street zu besorgen. Ein Anruf bei einem der fünfzig Männer, die regelmäßig ins Publicans kamen, und Jimbo hätte für sein Leben ausgesorgt gehabt. Doch Jimbo wollte sein Leben auf den Skipisten verbringen. Steve konnte ihn verstehen.
    Während unserer Unterhaltung war ich leicht angespannt, weil ich befürchtete, Steve käme wieder auf unser Thema vor einer Woche zurück, als ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Kurz nach meiner Rückkehr aus der Hugo-Wohnung, hatte mich Steve in sein Kellerbüro gerufen. Wir saßen uns an seinem Schreibtisch gegenüber, und er reichte mir einen Stapel Schecks, die ich im Laufe des Sommers an der Theke eingelöst hatte, auf jedem der Stempel Ungenügende Deckung. Steve fürchtete, ich hätte absichtlich mit ungedeckten Schecks gezahlt, und das gab ihm zu denken. Seine Sorge um mich hatte nichts mit seinen Geldproblemen zu tun. Steve wollte seinen Gästen vertrauen. In seinem Restaurant wurde jeder Zettel mit der Hand geschrieben, jede Getränkebestellung dem Barkeeper mündlich zugerufen. Es gab keine Computer, keine Schuldbücher, und Angestellte wie Gäste hielten sich an ein raues, aber herzliches Vertrauenssystem. Wurde ein Hilfskellner beim Entwenden einer Flasche teuren Champagners erwischt, regelte Steves Belegschaft die Sache »intern«. Sie vermöbelten ihn nach Strich und Faden.
    Ich sagte Steve die Wahrheit. Ich hatte nicht mehr klar gedacht und von einem Tag zum nächsten keinen Überblick mehr gehabt, wie viel Geld noch auf meinem Konto war. Ich war unorganisiert, nicht unehrlich. »Junior«, sagte er und lehnte sich in seinem quietschenden alten Schreibtischstuhl zurück. »Wir machen alle mal Fehler. Aber das ist nicht gut. Ganz und gar nicht gut. So ein Mensch willst du doch bestimmt nicht sein.« Seine Worte hallten im Keller und in meinem Kopf nach. »Nein«, sagte ich. »Wirklich nicht.« Ich hoffte, dass er noch etwas hinzufügte, aber mehr musste nicht gesagt werden. Ich schaute in Steves wässrige graublaue Augen. Er hielt meinem Blick stand, länger als jemals zuvor, und als er sah, was er sehen wollte – und vermutlich sehen musste-, schickte er mich wieder nach oben in die Bar. Am nächsten Tag lieferte ich einen Umschlag mit Geld ab, um meine ungedeckten Schecks und mögliche Strafgebühren, die ihm bei der Bank entstanden waren, zu begleichen. Offiziell war ich jetzt pleite, aber quitt mit Steve, und das war wichtiger.
    An jenem ersten Novemberabend erwähnte Steve die peinliche Angelegenheit mit keinem Wort. Für ihn war das Schnee von gestern. Als wir fertig waren mit unserem Gespräch über »die Jungen«, wie er McGraw und Jimbo nannte, klopfte er mir auf die Schulter und sagte zu Colt, »gib Junior einen Drink aus«, dann ging er davon. »Kleiner«, sagte Colt, »du wirst von Chief gedeckt.« Ein Gefühl der Zuneigung für Steve und Colt und alle Männer im Publicans stieg in mir auf, denn endlich wurde mir etwas klar. Ich war immer davon ausgegangen, die Männer hätten nie gehört, dass Steve mich Junior nannte, doch das stimmte nicht. Sie hatten den Spitznamen lediglich nicht benutzt, weil sie merkten, welche Bedeutung er für mich hatte. Steve konnte das nicht wissen, und sie erklärten es ihm nie – die Männer im Publicans gaben nie Erklärungen ab. Sie ließen Steve weiter Junior zu mir sagen, während sie es nicht taten. Nicht ein einziges Mal. Das war ein Bruch mit dem Protokoll, ein Zeichen der Zuneigung, das mir nie aufgefallen war. Bis zu jenem Abend.
    Ich setzte mich an Onkel Charlies Thekenende und versuchte ihm die Sache mit Steve und den geplatzten Schecks zu erklären. Hm, sagte er wie in Trance. Er starrte auf den Fernseher. Plötzlich heulte er laut auf.
    Sein Team – ich glaube, die Boston Celtics – hatte eine hundertprozentige Konterchance vergeben, drei gegen einen. Er hielt sich die Augen zu. Anfang der Woche hatte er, wie er sagte, schwere Kohle auf ein Footballspiel gesetzt, sein Team lag kurz vor Schluss in Führung und musste bloß noch ein bisschen den Ball halten, Zeit schinden, bis die Sirene ertönte. Unerklärlicherweise warfen sie einen Pass, der abgefangen

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