Tender Bar
die Araber wollten uns kein Öl verkaufen, weshalb wir bei der Mobil-Tankstelle neben dem Dickens nie mehr als vierzig Liter kaufen durften. Aber was hatte das mit Tante Ruth zu tun?
»Das heißt, wir stehen auf ihrer schw …, schw …, schwarzen Liste«, sagte Opa.
Darüber hinaus verbot Tante Ruth auch mir den Zutritt zu ihrem Haus. Ich durfte McGraw und die Cousinen nicht besuchen. »Du stehst auch auf ihrer schwarzen Liste«, sagte Opa.
»Was hab ich denn gemacht?«
»Schuldlos verurteilt.«
Ich entsinne mich an das McGraw-Embargo von 1973 als eine Zeit, als auch mir der Treibstoff ausging. Lustlos und bedrückt kämpfte ich mich durch die Tage. Es war Oktober. In ganz Manhasset färbten sich die Zuckerahornbäume in flammendes Rot und Orange, und von den höchsten Punkten der Stadt sah es aus, als stünde alles in Flammen. Oma sagte ständig, ich solle nach draußen gehen und spielen, mich an den Herbstfarben und dem frischen Wetter freuen, aber ich lag nur auf Onkel Charlies Bett und sah fern. Eines Abends lief gerade Bezaubernde Jeannie, als die Haustür aufging und ich Sheryl fragen hörte: »Ist jemand da?«
Ich rannte aus Onkel Charlies Schlafzimmer.
»Was ist denn das?«, rief Oma und umarmte Sheryl.
»Du wagst dich in Feindesland?«, fragte meine Mutter und küsste sie. Sheryl winkte ab und sagte: »Ach was.«
Sheryl fürchtete niemanden. Mit ihren vierzehn Jahren war sie die hübscheste Tochter von Tante Ruth, aber auch die trotzigste. »Wie geht’s McGraw?«, fragte ich sie.
»Er vermisst dich. Ich soll dich fragen, als was du an Halloween gehst.« Ich senkte den Kopf.
»Ich kann nicht mit ihm Halloween-laufen«, sagte meine Mutter. »An dem Abend muss ich arbeiten.«
»Dann nehme ich ihn mit«, sagte Sheryl.
»Und was ist mit deiner Mutter?«, fragte Oma.
»Ich geh mit ihm um den Block«, sagte Sheryl. »Wenn seine kleine Tasche voll Zaster ist, geh ich nach Hause und Ruth merkt gar nicht, dass ich weg war.« Sie drehte sich zu mir. »Um fünf bin ich hier.«
Um vier wartete ich auf der Treppe, verkleidet als Frito Bandito. Ich trug einen Poncho und einen Sombrero, unter die Nase hatte ich mir mit Filzstift einen schwarzen dünnen Schnurrbart gemalt. Sheryl war auf die Minute pünktlich. »Fertig?«, fragte sie.
»Und wenn wir erwischt werden?«, sagte ich.
»Sei ein Mann.«
Sheryl beruhigte meine Nerven, indem sie jede Menge Witze riss und über jeden lästerte, der uns nur Süßigkeiten gab. Als wir aus einem Haus kamen, murmelte sie: »Könnten Sie nächstes Mal die Hose wechseln, Mister?« Als wir uns einem Haus näherten und die Verandalichter angingen, rief sie: »Lassen Sie die Kaffeemaschine aus – wir bleiben nicht lang!« Ich gackerte die ganze Zeit und amüsierte mich prächtig, drehte mich aber auch gelegentlich um, ob uns jemand folgte.
»Mein Gott«, sagte Sheryl. »Du machst mich auch ganz nervös. Entspann dich.«
»Tut mir leid.«
Wir hielten uns an der Hand und bogen gerade in den Chester Drive ein, als Tante Ruths Kombi neben uns hielt. Sie funkelte Sheryl böse an, ignorierte mich und fauchte: »Steig sofort ein.«
Sheryl umarmte mich zum Abschied und sagte, ich solle mir keine Sorgen machen. Ich schlenderte nach Hause, hielt aber auf halbem Weg an.
Was würde Hiawatha jetzt tun? Ich musste sicherstellen, dass Sheryl nichts zustieß. Sie brauchte meinen Schutz. Ich ging wieder zur Plandome Road, schlich durch Gassen und Gärten, bis ich den hinteren Zaun von Tante Ruths Haus erreichte. Dort kletterte ich auf eine Mülltonne, sah Schatten im Fenster, hörte Tante Ruth schreien. Sheryl erwiderte etwas, dann wieder Geschrei und dann splitterte Glas. Am liebsten wäre ich ins Haus gerannt, um Sheryl zu retten, aber ich war starr vor Schreck. Ich fragte mich, ob McGraw seiner Schwester wohl zur Seite sprang, und wenn ja, ob er dann auch Ärger bekäme. Und alles war meine Schuld.
Langsam machte ich mich auf den Heimweg, wischte mir den Schnurrbart ab, blieb manchmal stehen und spähte durch die Fenster. Glückliche Familien. Brennende Kamine. Als Piraten und Hexen verkleidete Kinder, die ihre Süßigkeiten durchwühlten und zählten. Ich hätte schwere Kohle gesetzt, dass keins dieser Kinder etwas von Überfällen und Embargos wusste.
9 | DICKENS
Meine Mutter landete einen besseren Job als Sekretärin im North Shore Hospital, und ihr Gehalt reichte gerade für die Miete einer Zweizimmerwohnung in Great Neck, mehrere Kilometer von
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