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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Einzigartiger Nachname, der Gespött und Verwirrung auslöste. Genau wie bei meinem Namen waren die Ursprünge von McGraws rätselhaft. Tante Ruth erzählte Opa, McGraws Name sei auf John McGraw zurückzuführen, den legendären Baseball-Manager, aber ich hörte auch, wie sie meiner Mutter sagte, sie hätte den kernigsten Namen ausgesucht, den sie finden konnte, um sicher zu gehen, dass McGraw, der nur von Schwestern umgeben war, kein Waschlappen würde.
    Ich teilte Tante Ruths Sorge. Auch ich fürchtete, McGraw und ich könnten zur Verweichlichung verdammt sein. Als McGraw, der ein bisschen unbekümmerter war als ich, keine Anstalten machte, über derlei Dinge nachzudenken, zwang ich ihn dazu. Ich weihte ihn in meine Neurosen ein und sagte ihm ständig, wir würden ohne männliche Künste aufwachsen, ohne Auto reparieren und auf die Jagd gehen, ohne Camping und Angeln, und besonders ohne Boxen. Zu McGraws eigenem Besten befahl ich ihm, mir zu helfen, Onkel Charlies Golftasche mit Geschirrtüchern und Zeitungen auszustopfen, und mit diesem provisorischen Sandsack brachten wir uns gegenseitig Links-Rechts-Kombinationen bei. Ich schleppte McGraw gegen seinen Willen zum Ententeich bei den Eisenbahnschienen, wo wir Haken mit weichem Weißbrot bestückten und in das mit einer grünen Schleimschicht bedeckte Wasser warfen. Wir fingen sogar etwas, einen gesprenkelten Fisch, der aussah wie der spindeldürre, neurotische Hilfssheriff Barney Fife in der Andy Griffith Show. Wir nahmen ihn mit zu Opa, steckten ihm in die Badewanne und vergaßen ihn. Als Oma ihn fand, schimpfte sie fürchterlich und bestätigte damit meine Paranoia, dass wir unter der Tyrannei des weiblichen Geschlechts litten.
    Trotz unseres identischen Lebens waren McGraw und ich sehr unterschiedlich, und unsere Unterschiede resultierten aus den Beziehungen zu unseren Müttern. McGraw wetterte gern gegen seine und nannte sie nur Ruth, während ich an meiner hing und sie nie Dorothy nannte. Sie war immer Mom. Meine Mutter ließ mich mein Haar wie Keith Partridge tragen, McGraws Mutter verpasste ihm alle zwei Wochen einen militärischen Bürstenschnitt. Ich war angespannt, McGraw gelassen. Ich neigte zum Grübeln, McGraw war ein Kicherer, und sein Kichern war ein unverwechselbares, sinfonisches Trillern, aus dem zügellose Freude sprach. Ich war pingelig beim Essen, McGraw verschlang alles in Sichtweite und spülte es mit literweise Milch hinunter. »McGraw«, rief Oma oft, »ich hab keine Kuh im Garten!« Worauf er mit einem Kicheranfall antwortete. Ich war dunkelhaarig und dünn, McGraw blond und kräftig, und er wurde immer schwerer. Er wuchs wie ein Junge im Märchen, zerbrach Stühle, Hängematten, Betten, den Basketballring an der Garage. Da Onkel Harry ein Riese war, fand ich es nur logisch, dass McGraw wie ein Bohnenstengel in die Höhe schoss.
    McGraw wollte nicht über seinen Vater reden, und er wollte nicht darüber reden, warum er nicht über seinen Vater reden wollte. Ich ging jedoch davon aus, dass McGraw unwillkürlich an seinen Vater denken musste, einen Schaffner bei der Long Island Railroad, sobald ein Zug über die Eisenbahnbrücke der Manhasset Bay fuhr und ein Mäckern von sich gab, das von einem Ende der Stadt bis zum anderen zu hören war. Auch wenn er es nie zugab, musste ein tuckernder Zug die gleiche Wirkung auf ihn haben wie Radioknistern auf mich. Irgendwo in diesem statischen Rauschen ist dein alter Herr.
    Wenn McGraw seinen Vater doch zu sehen bekam, war es weniger ein Besuch als ein Überfall. Tante Ruth schickte McGraw in irgendeine Bar, wo er Geld von seinem Vater verlangen oder ihn Papiere unterschreiben lassen sollte. Ich merkte es McGraw immer an, wenn er von einem dieser Barüberfälle zurückkam. Seine Pausbacken waren rot, die Augen glasig. Er wirkte traumatisiert, aber auch begeistert, weil er seinen Vater gesehen hatte. Hinterher wollte er immer sofort Baseball im Garten spielen, um das Adrenalin und die Wut zu verbrennen. Er holte dann weit mit dem Schläger aus und knallte den Ball unglaublich hart auf ein Ziel, das wir mit Kreide an die Garage gezeichnet hatten. Einmal traf er nach einem Barüberfall den Ball so fest, dass Opa dachte, die Garage würde einstürzen.
    Es gab noch ein todsicheres Zeichen, an dem man merkte, ob McGraw durcheinander war. Er stotterte, genau wie Opa. Sein Stottern war zwar viel subtiler, aber wenn ich sah, wie McGraw um ein Wort rang, versetzte es mir unweigerlich einen Stich und rief mir ins

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