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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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umgeben von den Männern, und wir fingen an, eine Sandburg zu bauen. Ich erklärte ihm, wir dürften uns nichts erlauben, was die Männer verärgern könnte, aber Joey D sagte: »Nur zu, tobt euch ordentlich aus.« Und zu den anderen Männern gewandt fügte er hinzu: »Hauptsache, Flipper geht nicht mehr ins Wasser.«
    Neben die Sandburg bauten McGraw und ich eine Sonnenuhr, die er zusammen mit mir überwachte, nachdem die Männer weggedämmert waren. Als McGraw ihr triebwerkartiges Schnarchen hörte und Joey D im Schlaf mit seiner Schmusemaus reden sah, schmiss er sich hin und kicherte, was mich ebenfalls zum Kichern brachte, und wir mussten uns den Mund zuhalten, um die Männer nicht aufzuwecken.
    Wir kamen später als sonst nach Manhasset zurück. Für einen Halt in der Bar blieb keine Zeit mehr. Alle mussten nach Hause. McGraw ließ den Kopf hängen, als wir wieder zu Opa gingen. Insgeheim freute ich mich diebisch. Ha! Geschieht dir recht Du warst vielleicht bei der Sandbank, aber ich war in der Bar, und nur das zählt. Dann fielen mir die vielen Kneipen ein, die McGraw schon gesehen, in die man ihn geschickt hatte, um seinen Vater zu überrumpeln, und da wurde mir klar, dass er nicht unbedingt noch eine aufsuchen wollte. Er war einfach nur traurig, weil er sich von den Männern trennen musste.
    An jenem Abend saßen McGraw und ich auf dem zweihundertjährigen Sofa, spielten Karten und sahen uns eine Folge von Männerwirtschaft an, aber er konnte nicht aufhören über Gilgo zu reden. Er wollte jeden Tag hinfahren. Er wollte dort wohnen. Er sagte, Jack Klugman sehe aus wie Bobo. Ich warnte ihn vor allzu großen Hoffnungen. Es gab Variablen, erklärte ich. Wetter und Katerstimmung. Man wusste nie von einem Tag zum nächsten, welche zum Tragen käme. In McGraws Fall gab es eine dritte Variable. An manchen Tagen ließ Tante Ruth ihn nicht mitkommen. Entweder er musste Baseball trainieren oder er wurde bestraft. Manchmal gab Tante Ruth überhaupt keinen Grund an.
    Wenn McGraw nicht mit zum Gilgo Beach durfte, saß ich im Kreis der Männer und vermisste ihn, und dann wünschte ich, er wäre gar nicht erst mitgekommen, denn ohne ihn fehlte plötzlich etwas. Mit McGraw machte alles mehr Spaß. Er war jemand, mit dem ich die Männer teilen und über die unglaublichen Dinge kichern konnte, die sie sagten und machten. Als Bobo von einer Bremse in den Oberschenkel gestochen wurde, die dann in trunkenen Schleifen davonflog und in den Tod stürzte, wünschte ich mir, McGraw könnte es auch sehen.
    Obwohl die Männer durchwegs freundlich zu mir waren, ignorierten sie mich meistens, sodass ich, wenn McGraw nicht dabei war, meine Stimme oft stundenlang nicht hörte. Wenn die Männer sich dann direkt an mich wandten, war es oft peinlich. Ein typischer Wortwechsel lief folgendermaßen ab: Joey D sah mich an. Ich sah ihn an. Er sah mich schärfer an. Ich hielt seinem Blick stand. Schließlich sagte er: »Gegen wen spielen die White Sox heute Abend?«
    »Rangers«, sagte ich. Er nickte. Ich nickte. Ende des Gesprächs.
    Wenn McGraw mir fehlte, musste ich an meine Mutter denken, die mir auch und immer mehr fehlte. Eines Tages starrte ich aufs Meer hinaus und fragte mich, was sie wohl machte. Da wir uns keine Ferngespräche leisten konnten, behalfen wir uns mit Audiobriefen, die wir auf Kassetten aufnahmen. Immer wieder spielte ich ihre Bänder ab und analysierte ihre Stimme auf Anzeichen von Stress oder Erschöpfung. Auf ihrem letzten Band klang sie glücklich. Zu glücklich. Sie sagte, sie hätte ein Sofa mit einem hübschen braun-goldenen Muster gemietet – ohne Gesichter der Gründungsvater.
    »Wir hatten noch nie ein Sofa!«, sagte sie stolz. Aber ich machte mir Sorgen. Und wenn wir uns das Sofa gar nicht leisten konnten? Oder wenn sie die Raten nicht zahlen konnte? Oder wenn sie wieder anfing, auf ihren Taschenrechner einzuhacken und zu weinen? Und wenn ich nicht da war, um sie mit irgendwelchen Witzen zu zerstreuen? Ich will mir keine Sorgen machen über Dinge, die nicht passieren. Am Gilgo Beach schien mein Mantra nicht zu funktionieren. Die quälenden Gedanken kamen zu schnell. Warum bin ich hier? Ich sollte in Arizona sein und meiner Mutter helfen. Wahrscheinlich fährt sie gerade jetzt allein durch die Wüste und singt. Mit jeder Welle, die ans Ufer schlug, schwappte mir ein neuer böser Gedanke in den Kopf.
    Um mich abzulenken, wandte ich mich an die Männer. Onkel Charlie war verstimmt. »Kann heute nicht richtig

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