Tender Bar
Schultern.
»Mistkerl«, sagte Onkel Charlie zu Joey D. »Wenn es mich nicht so viel Kohle kosten würde, würde ich dir zu deinen psychischen Kräften gratulieren. Anscheinend bist du weit blickend. Ich darf doch ›weit blickend‹ sagen, oder?«
Beim Abendspiel sahen die Mets besser aus. Sie gingen früh in Führung, und Onkel Charlie lebte wieder auf. Doch die Phillies hielten auch diesmal dagegen und übernahmen durch einen Home Run von Mike Schmidt endgültig die Führung. Onkel Charlie rauchte Kette und winkte ständig den Biermann, und ich stellte mir vor, wie die gestapelten Fünfziger und Hunderter auf seiner Kommode weniger wurden. Als das Spiel zu Ende war, machten wir uns auf die Suche nach Pat, die wir seit drei Stunden nicht mehr gesehen hatten. Wir fanden sie hinter der Tribüne, wo sie Bier trank und mit einer Gruppe von Polizisten schäkerte. Auf dem Weg zum Auto schmiegte sie sich an mich und sagte, meine Mutter sei sicherlich stolz auf mich. Mir war klar, dass ihr Verhalten zu wünschen übrig ließ. Am Anfang des Tages hatte ich geglaubt, ich sei befördert worden, doch es war Pat, die man befördert und die ihre Chance nicht besonders gut genutzt hatte. Trotzdem fand ich sie nett und wäre ihr gern eine bessere Stütze gewesen. Das Problem war nur, sie war schwerer als sie aussah, und ich musste meinen mit Autogrammen versehenen Baseball balancieren und gleichzeitig Pat tragen. Onkel Charlie nahm sie mir schließlich ab. Er legte sich ihren Arm um den Hals und führte sie zum Auto wie ein Soldat, der einen verwundeten Kameraden zur Krankenstation schleppt.
Als wir kurze Zeit später erfuhren, dass Pat Krebs hatte, fiel mir als Erstes die Fürsorglichkeit und Geduld ein, mit der Onkel Charlie sie in jenem Augenblick behandelt hatte. Mir war nicht klar gewesen, wie viel sie ihm bedeutete – keiner der Männer hatte es gewusst – bis sie krank wurde. Er zog bei ihr ein, fütterte sie, badete sie, las ihr vor, spritzte ihr Morphium, und als sie starb, saß er in Opas Küche, von Schluchzern geschüttelt, während Oma ihn festhielt und wiegte.
Ich ging mit Oma zur Beerdigung. Ich stand vor Pats offenem Sarg und betrachtete ihr Gesicht, die vom Krebs eingefallenen Wangen. Obwohl nicht die Spur ihres komischen Lächelns zu sehen war, meinte ich zu hören, wie sie mich ermahnte, auf meinen Onkel aufzupassen. Als ich mich vom Sarg abwandte, sah ich die Männer vom Dickens um Onkel Charlie versammelt wie Jockeys und Stalljungen um ein Rennpferd, das lahm eingelaufen ist. Ich versicherte Pat, dass wir beide beruhigt sein könnten. Onkel Charlie wird sich der Bar zuwenden, sagte ich. Er wird sich dort verstecken, so wie damals, als ihm die Haare ausgingen. Ich sagte ihr, die Männer im Dickens würden gut auf ihn achtgeben. Ich sagte ihr, das alles könne ich sehen, weil ich weit blickend sei.
14 | JEDD UND WINSTON
In Sky Harbor stieg ich aus dem Flugzeug und entdeckte meine Mutter, die mit erwartungsvoller Miene an einem Pfosten lehnte. Als sie mich sah, traten ihr Tränen in die Augen.
»Du bist so groß geworden!«, rief sie. »Und wie breit deine Schultern sind!«
Auch sie hatte sich verändert. Ihre Haare waren anders. Fülliger. Sie verströmte Energie, als hätte sie zu viel Kaffee getrunken. Und sie lachte – sehr oft. Es hatte immer einige Mühe gekostet, sie zum Lachen zu bringen, aber auf der Heimfahrt kicherte sie über alles, was ich sagte, genau wie McGraw.
»Irgendwas ist anders an dir«, sagte ich.
»Na ja.« Ihre Stimme bebte. »Ich habe einen neuen Freund.«
Er heiße Winston, sagte sie in einem Ton, der in meinen Ohren nichts Gutes verhieß. Er war groß, sah gut aus, war lieb. Und lustig? 0 ja, wahnsinnig lustig. Der reinste Komiker, sagte sie. Aber schüchtern, fügte sie schnell hinzu.
»Wie hast du ihn kennen gelernt?«, fragte ich.
»In einem Howard Johnson«, sagte sie. »Ich aß allein an der Theke und …«
»Was hast du gegessen?«
»Ein Eis und eine Tasse Tee.«
»Wie kannst du bei der Hitze heißen Tee trinken?«
»Das ist es ja gerade. Der Tee war kalt. Deshalb beschwerte ich mich bei der Bedienung, und sie war sehr unhöflich. Winston, der auch an der Theke aß, warf mir einen mitfühlenden Blick zu. Dann kam er zu mir, wir unterhielten uns, und als er mich zu meinem Auto brachte, fragte er, ob er mich anrufen dürfe.«
»Kommt mir nicht gerade schüchtern vor.«
Wir schwiegen eine Weile.
»Bist du verliebt?«, fragte ich.
»Nein! Ich
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