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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Riesenkaktus gefangen gehalten wurde. Meistens jedoch sah ich mir nur Wiederholungen von Adam-12 an. Ich merkte, wie ich mich langsam in einen Fremden verwandelte, in einen Menschen, wie ich ihn nie von mir erwartet hatte. Ich wusste, dass ich auf eine Klippe zusteuerte, und das Einzige, was an manchen Tagen zwischen mir und dem Abgrund stand, war Jedd.
    Jedd war Sheryls Flamme in der Highschool gewesen, als sie in Arizona lebte, und als sie Hals über Kopf mit ihrer Familie nach Manhasset zurückkehrte, war er am Boden zerstört. Er schrieb ihr immer noch und telefonierte mit ihr; er hatte sogar vor, nach seinem Studium an der Arizona State an die Ostküste zu ziehen und sie zu heiraten. In der Zwischenzeit sah er in mir, ihrem nächsten Verwandten, die naheliegendste Verbindung, und kam alle paar Tage bei uns vorbei, um über sie zu reden.
    Für mich war Jedd der coolste Typ auf der Welt. Er fuhr ein rötliches MG-Kabrio mit hellbraunen Ledersitzen und einem Schalthebel aus Walnussholz, in dem lauter kleine Dellen von seinem Siegelring waren. Der MG war geformt wie ein Surfbrett und auch nicht viel größer, und wenn Jedd die Straße entlanggesaust kam, sah er aus, als würde er über der Wüste eine Welle abfahren. Jedd war dünn, sarkastisch, knallhart, und wie Onkel Charlie rauchte er Marlboro Reds. Er hielt die Zigarette zwischen dein Mittel- und Ringfinger der rechten Hand und machte bei jedem Zug Churchills Friedenszeichen. Seine reptilartige Ruhe hielt er durch einen steten Nachschub an Bier und einer Kur aus seltsamen Streckübungen aufrecht. Beim Fernsehen zog Jedd an jedem Finger, bis der Knöchel laut knackte. Dann drehte er den Kopf zu einer Seite, bis der Nacken knackste. Nach dieser Selbsteinrenkung wurde sein ganzer Körper schlaff, als hätte er ein inneres Drehmoment freigesetzt.
    Als Junge hatte Jedd mit seinem Vater die üblichen Dinge gemacht – Zelten, Jagen, Angeln – und vermutlich fiel ihm mein Gesichtsausdruck auf, als er von seinen Abenteuern erzählte, denn eines Tages schlug er einen Ausflug in die freie Natur vor.
    »Wer?«, fragte ich.
    »Du und ich. Ständig meckerst du, wie sehr dir die wechselnden Jahreszeiten fehlen, fallende Blätter und der ganze Mist. Wir fahren dieses Wochenende nach Norden in den Schnee.«
    Als Jedd den Ausflug meiner Mutter vorschlug, stellte sie ihm Fragen, bei denen ich am liebsten unter unserem gemieteten Sofa verschwunden wäre. Wie kalt wird es werden? Soll JR Fäustlinge mitnehmen?
    »Fäustlinge?«, schrie ich.
    Sie verstummte, und auf ihrem Gesicht erschien ein Hauch von Selbstvorwurf. »Klingt gut«, sagte sie. »Bring mir einen Schneeball mit.«
    Wir brachen im Morgengrauen auf, im Pickup von Jedds Vater, weil unsere Ausrüstung und die Kühltasche mit dem Proviant nicht in den MG gepasst hätten. Nach einer Stunde wich die flache Wüste zerklüfteten Bergen. Die Luft wurde kühl. Schneereste tauchten neben der Straße auf, dann ganze Felder aus purem Weiß. Jedd legte eine Kassette von Billy Joel ein, der ihn an New York erinnerte, das ihn an Sheryl erinnerte, was wiederum dazu führte, dass er Kuhaugen kriegte. »Oh Brother«, sagte ich. »Alle in meiner Umgebung sind verliebt.«
    Jedd schlug mir kräftig auf die Schulter.
    »Dir fehlt sie doch auch«, sagte er. »Genau wie McGraw. Die ganze Clique. Stimmt’s?«
    Er fragte mich nach Manhasset, sein zweitliebstes Thema nach Sheryl. Ich erzählte ihm eine Geschichte, die ich am Gilgo Beach gehört hatte, über Bobo, der einmal mit nichts als einem Bademantel bekleidet Thekendienst hatte und sich vor den Kunden entblößte. Als sich jemand daran störte, kam es zu einer Schlägerei, und Fuckembabe wurde durchs Fenster der Mobil-Tankstelle geschmissen. Auf meinem Gesicht zeigte sich offenbar ein Hauch von Wehmut, als ich mir die Szene vorstellte, denn Jedd sagte: »Bevor du dich versiehst, bist du wieder dort. Bald sind wir alle in Manhasset und lassen eine große Party steigen. Im Dickens.«
    »Dann heißt es wahrscheinlich schon Publicans«, sagte ich. »Steve lässt renovieren. Du wirst begeistert sein. Es ist die schönste Bar auf der Welt.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Weil ich ständig dort bin.«
    »Ein Bengel wie du? In einer Bar?«
    »Onkel Charlie und die Männer nehmen mich mit zum Strand und zu den Mets, und hinterher gehen wir immer in die Bar. Ich darf Bier trinken und Zigaretten rauchen und bei den Fischkämpfen mitwetten, die im Hinterzimmer stattfinden. An einem Abend hat

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