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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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weiß nicht. Vielleicht.«
    »Was macht Winston denn?«
    »Er arbeitet im Verkauf. Er verkauft Klebeband. Alle möglichen Arten von Klebeband.«
    »Isolierband?«
    »Keine Ahnung. Wahrscheinlich.«
    »Oma wird ihn mögen. Er kann ihr Wohnzimmer neu verkleben.«
    Ich hatte gemischte Gefühle, was Winston betraf. Ich freute mich, dass meine Mutter glücklich war, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich versagt hatte. Ich hätte sie glücklich machen müssen. Ich hätte sie zum Lachen bringen müssen. Stattdessen hatte ich mich nach Manhasset abgesetzt und mich mit den Männern aus der Bar amüsiert. Und auch wenn ich es mir kaum eingestehen mochte, ich hatte es genossen, mit Männern zusammen zu sein, um die ich mir keine Sorgen machen und die ich nicht an die Hand nehmen musste. Als Strafe dafür, dass ich mich vor meiner Verantwortung gedrückt und mich entspannt hatte, war jetzt irgendein Klebebandvertreter im Howard Johnson aufgetaucht und hatte meine Aufgabe übernommen.
    Noch beunruhigender war die Tatsache, dass meine Mutter etwas Liebenswertes in Arizona gefunden hatte, und das hieß, wir würden bleiben. Ich fand es an der Zeit zuzugeben, dass Arizona sich nicht bezahlt gemacht hatte. Wir mussten immer noch knapsen und jeden Cent umdrehen, nur hatten wir jetzt nicht Oma oder McGraw und die Cousinen als Ausgleich. Dann war da noch die Hitze. »Wie kann es im September bloß so heiß sein?«, fragte ich und fächelte mir mit dem Flugticket zu. »Was ist mit dem Herbst? Was ist mit den Jahreszeiten?«
    »Hier gibt es nur eine Jahreszeit«, sagte sie. »Denk an das viele Geld, das wir allein an Kalendern sparen.«
    Ja – sie war eindeutig ver!iebt.
    Anstelle der efeubewachsenen, am Steilufer gelegenen Junior Highschool mit Blick auf das Manhasset Valley, ging ich in diesem Herbst in die nicht weit entfernte Mittelschule, die mitten in der Wüste lag. Ich fragte mich, ob sie vielleicht Mittelschule hieß, weil sie mitten im Niemandsland lag. Ein Großteil der Schule war, genau wie Arizona, noch im Bau befindlich, und der Unterricht fand in provisorischen, auf Hohlblocksteinen abgestellten Wohnwagen statt. Unter der Wüstensonne wurden die Dinger um die Mittagszeit zu Backöfen, und wir konnten kaum atmen, geschweige denn lernen.
    Doch die Wohnwagen waren noch das geringste Problem. Nach einem Sommer mit den Männern war mein Long-Island-Akzent nicht mehr zu überhören. Verglichen mit mir klang Sylvester Stallone wie Prinz Charles, das heißt, ich klang abgebrüht, und jeder Schulhofrowdy wollte sich mit mir prügeln. Wenn ich in die Klasse kam, hörte ich: »Sieh mal einer an, da kommt Rocky Balboa-ringer«, und schon ging es los. Ich behauptete mich und behielt meine Zähne und eine heile Nase, weil ich nicht wütend, sondern verwirrt kämpfte. Mir wollte einfach nicht in den Kopf, warum die Jungen in Arizona so ein Aufhebens um die Art und Weise machten, wie ich bestimmte Wörter aussprach. Wörter, die mir am Gilgo Beach den Zugang zu den Männern erschlossen hatten, bewirkten an meiner neuen Schule genau das Gegenteil.
    Dass meine Mutter und ich kein Geld für Kleidung besaßen, ich aber ständig wuchs, verbesserte die Sache auch nicht gerade. Meine Hemden waren zu klein, meine Hosen plötzlich Capri-Modelle. Hochwasserhosen, sagten meine Mitschüler, zeigten mit dem Finger auf mich und kicherten. »Hey, Noah-ringer, wann kommt die große Flut?«
    Was die Schule besonders erschwerte, war mein Name. JR Moehringer war eine Aufforderung, sich darüber lustig zu machen. »Was ist los, JR«, sagten die Jungen, »kann sich deine Mutter nur zwei Buchstaben leisten?« Und dann gingen sie bei Moehringer in die Vollen. Homo-ringer. Geronimo-ringer. Erbsen-und-Möh-ringer. Erinnerst-du-dich-noch-an-den-Alamo-ringer. Jeder Spitzname führte zu einer neuen Schulhofrauferei, die blutigste aber fand statt, wenn mich ein Junge schlicht Junior nannte.
    Nach der Schule eilte ich zu unserer Wohnung zurück, die meine Mutter während meiner Zeit in Manhasset gefunden hatte. Sie war billig – 125 Dollar pro Monat –, weil sie neben einem erhöhten Kanal lag, in dem Abflusswasser vom Salt River vorbeidonnerte. Ich lag auf unserem gemieteten Sofa, verarztete meine Beulen mit Eis und wartete, bis meine Mutter von der Arbeit zurückkam. Hausaufgaben machte ich nie. Wenn mich der Ehrgeiz packte, arbeitete ich an einer endlosen Kurzgeschichte über einen Jungen, der von mutierenden Erdkuckucken entführt und in einem

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