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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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zuschob.
    Die Spannung zwischen mir und Winston wurde schließlich so unerträglich, dass ich aus seiner Wohnung floh. Ich suchte am Spielplatz an der Straße Zuflucht und warf stundenlang Körbe. Irgendwann kreuzte Winston dann immer mit Leidensmiene auf, eindeutig von meiner Mutter hinterher geschickt. Basketball langwei!te ihn beinahe ebenso sehr wie ich. Sein Spiel sei Football, sagte er, obwohl für ihn Torschießen im Mittelpunkt des Sports stand. Wenn wir HORSE spielten, ergötzte er mich mit Geschichten aus seiner Zeit als Kicker im College, als er »mit meinem Fuß im Alleingang ganze Spiele entschied.« Er hielt diese Wendung für den Gipfel an Scharfsinnigkeit.
    Ich weiß nicht mehr, wann bei Winston schließlich die Sicherung durchbrannte. Vielleicht sah er mich wieder mal ein Gähnen unterdrücken, als er vom Torschießen schwadronierte. Vielleicht fühlte er sich gedemütigt, als er den Ball wieder mal voll an den Korbrand zimmerte und erneut ein HORSE-Spiel verlor. »Komm, wir spielen was anderes«, sagte er und prellte den Ball so fest, dass er ein beängstigendes doing-Geräusch von sich gab. »Bas-kick-ball.« Ich musste den Ball auf den Zehen balancieren, während er zehn Schritt zurückzählte, seinen feuchten Finger in den Wind hielt, dann auf mich zusprintete und meinen Basketball hoch über den Zaun in die Wüste kickte. »Er ist oben!«, rief er. »Und er ist gut!« Wir sahen meinen Basketball zwischen den Kakteen hüpfen wie eine Flipperkugel, die von Stoßstangenpuffern abprallt. Als er mitten in einem Kaktus landete, explodierte er.
    Wenig später teilte mir meine Mutter mit, Winston und sie nähmen eine »Auszeit«. Ihre Stimme klang heiser, wie die der Männer aus dem Dickens, wenn Onkel Charlie sie morgens zum Gilgo Beach abholte. Ihre Haare, fiel mir auf, waren nicht mehr füllig. Und sie wirkte erschöpft. Den Rest des Vormittags sagte ich kein Wort mehr. Während meine Mutter in der Wohnung umherwanderte und Burt Bacharach hörte, saß ich auf der Kanalböschung und versuchte, meinen Gefühlen auf den Grund zu gehen. Einerseits war ich froh, mich nicht mehr mit Winston abgeben zu müssen, aber ich war auch traurig, weil meine Mutter untröstlich war. Ich wusste, sie sehnte sich nach einer romantischen Liebe, und auch wenn ich nicht genau wusste, was ich darunter zu verstehen hatte, nahm ich doch an, es war in etwa das, wonach ich suchte, nämlich eine Art Zusammenhalt, und ich befürchtete, dass die Einsamkeit, so sehr wir uns auch mochten, unser einziges normales Band war. Einmal hatte ich im Kriechgang in Opas Haus ein Tagebuch gefunden, das meine Mutter mit vierzehn geführt hatte. Auf die erste Seite hatte sie geschrieben: »Wer es wagen sollte, diese Seite umzublättern, soll sein Leben lang kein ruhiges Gewissen mehr haben, sofern er überhaupt eines hat!« Innen entdeckte ich eine Liste mit zweiundvierzig Eigenschaften, die sie in einem Mann zu finden hoffte. Mein Vater besaß davon nur zweieinhalb, woraus ich folgerte, dass meine Mutter bei ihrer ersten Suche nach Liebe einen Kompromiss eingegangen war und sie – unseretwegen – bei ihrer zweiten Suche vorsichtiger sein wollte. Ich folgerte außerdem, dass ihre Suche durch mich behindert wurde. Ich erinnerte mich an den Glühbirnenvertreter in New York, den sie unheimlich gern mochte. Kaum hatte er mich kennen gelernt, sollte sie mich auf ein Internat in Europa schicken. Unverzüglich. Ich erinnerte mich an den Automechaniker, der einen Anfall kriegte, als ich ihm McGraw als meinen Bruder vorstellte. »Ich dachte, du hättest nur ein Kind«, sagte er verärgert zu meiner Mutter; ihre Erklärung, McGraw sei für mich nur wie ein Bruder, nahm er ihr nicht ab. Die wenigsten Männer waren scharf darauf, den Sohn meines Vaters großzuziehen, und das verringerte die Chancen meiner Mutter auf Liebe. Diese Realität, die mir an jenem Tag am Kanal mehr als deutlich wurde, verursachte mir ein schlechtes Gewissen. Ich hätte mir mehr Mühe geben und mich mit Winston verstehen müssen. Ich hätte ihn dazu bringen müssen, mich zu mögen. In meinem kalten Krieg mit Winston hatte ich irgendwie mein oberstes Ziel aus den Augen verloren – für meine Mutter zu sorgen. Jetzt war ich nur ein weiterer Mann, der ihr das Leben schwer machte.
    Als ich in die Wohnung zurückkam, wollte meine Mutter ins Kino gehen. »Irgendein Film, der uns auf andere Gedanken bringt«, sagte sie. Sie schlug A Star Is Born vor, und ich beschwerte mich nicht. Ich

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