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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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gegenüberliegenden Seite einer. Und so weiter. Deshalb siehst du welche mit achtzehn Armen. Ein Kaktus versucht immer aufrecht zu stehen. Bewundernswert, wenn sich etwas so bemüht, sein Gleichgewicht zu halten.«
    Ich hätte Jedd gern von meinen Raufereien in der Schule erzählt, von einem Mädchen namens Helen, für das ich schwärmte, von meinem Hass auf meinen Namen und dass keiner mit mir reden oder mittags mit mir essen wollte, weil ich neu war und mich anhörte wie ein Mitglied des kriminellen Gambino-Clans. Mir war nicht klar, warum ich ihm das alles nicht auf der Hinfahrt oder am Lagerfeuer erzählt hatte. Vielleicht hatte ich nicht daran erinnert werden, vielleicht hatte ich kein Spielverderber sein wollen. Jetzt war es zu spät. Jedd hielt beim Kanal an.
    Ich lud ihn noch auf ein Coors ein. Ein andermal, sagte er. Er müsse noch lernen. Da sein Examen anstehe, sagte er, könne er sogar eine ganze Weile nicht mehr vorbeikommen. Ich dankte ihm für alles und wir gaben uns die Hand. Er warf mir die Billy-Joel-Kassette zu, salutierte, dann jagte er davon. Ich stand auf der Straße, sah den Pickup um die Ecke schlittern und fühlte mich wie in der Erde verwurzelt.
    Beim Abendessen fragte mich meine Mutter nach dem Ausflug. Ich brachte kein Wort über die Lippen und begriff nicht, warum ich nach diesem schönen Erlebnis so abgrundtief traurig war, aber der Knoten in meiner Kehle wollte einfach nicht weichen. Wenn ich traurig war, bekam ich schon immer leicht einen Knoten im Hals, aber so schlimm war es noch nie. Ich hatte das Gefühl, als stecke ein Tannenzapfen in meiner Gurgel. Ich versuchte zu schlucken und kugelte meinen Kartoffelbrei zu einem Schneemann, bis meine Mutter aufstand und sich zu mir setzte. »Wo ist eigentlich mein Schneeball?«, fragte sie. Tränen liefen mir über die Wangen. Meine Mutter hielt mich fest, während ich mich ausweinte. Später bereute ich meine Tränen, denn als Sheryl kurz darauf mit Jedd Schluss machte und er gar nicht mehr vorbeikam, war nichts mehr übrig.
    Meine Mutter und ich verbrachten jede Woche ein paar Abende bei Winston, eine Generalprobe für die Zeit, wenn wir eine Familie würden. Die Vorstellung, Winston als Stiefvater zu haben, war entmutigend. Er war kein Jedd. Er war das Gegenteil von Jedd. Winston war nicht kühl, er war eiskalt. Nicht dass er mich nicht gemocht hätte. Das hätte sich hinbiegen lassen. Das Problem war eher, dass ich Winston langweilte.
    Auf das Drängen meiner Mutter hin bemühte er sich. Er kam zu mir, verwickelte mich in Gespräche, suchte Punkte, an denen unsere Interessen und Persönlichkeiten sich treffen könnten. Doch es war immer spürbar, dass er lieber anderswo wäre, und seine Langeweile entwickelte sich unweigerlich zu Ärger, dann zu Rivalität. Als wir eines Tages durch die Wüste fuhren, sagte ich zu Winston, ich könne Kaktusse nicht leiden. Ich war nicht sicher, ob ich Jedds Verteidigung des Kaktus glauben sollte und dachte mir, es könnte interessant sein, Winstons Meinung zum gleichen Thema zu hören.
    »Kakteen«, sagte er. »Der Plural heißt Kakteen.«
    »Egal wie sie heißen«, sagte ich, »mir hängen sie zum Hals raus.« Sogar die Highschool, die ich bald besuchen sollte, Saguaro, war nach einem Kaktus benannt.
    »Bestimmt weißt du nicht, wie man Saguaro buchstabiert«, sagte er. Ich buchstabierte es für ihn.
    »Falsch«, sagte er. »Man schreibt es mit h, nicht mit g.«
    Ich widersprach. Winston blieb bei seiner Version. Wir wetteten um einen Dollar. Bei ihm zu Hause schlug er meine Highschool im Telefonbuch nach; hinterher war er eine Stunde beleidigt.
    Unser Verhältnis verschlechterte sich rapide, als Winston den Schein seiner Football-Bürowettgemeinschaft mitbrachte. »Ich gewinne einfach nie«, sagte er.
    »Soll ich’s mal probieren?«
    »Gut! Wenn du unbedingt Jimmy the Greek spielen willst. Du denkst wohl, du kannst es besser?«
    Er schob mir das Blatt zu. Ich sah es mir an und erinnerte mich an Onkel Charlies viele Regeln. Green Bay verliert grundsätzlich kein Heimspiel im Dezember. Kansas City erreicht bei Auswärtsspielen nie ein zweistelliges Ergebnis. Der Quarterback von Washington trinkt gern und ist normalerweise nicht in Bestform, wenn früh angepfiffen wird. Ich füllte den Schein aus, und als meine Tipps gewannen, warf mir Winston die fünfzig Dollar Preisgeld hin und sagte: »Anfängerglück.« Dann fügte er leise noch etwas Bissiges hinzu, während ich meiner Mutter das Geld unter der Hand

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