Tenebra 1 - Dunkler Winter
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt muss ich ohnmächtig geworden sein.
Man kommt nicht von einem Augenblick zum anderen zu sich. Tatsächlich ist es oft schwierig zu sagen, zu welchem Zeitpunkt man das Bewusstsein wiedererlangt hat. Das dürfen Sie mir getrost glauben, denn ich wurde ein Fachmann auf diesem Gebiet. Aber ich lag und hatte seit einiger Zeit auf diesem Strohsack in der Kammer gelegen und in mir wurde die Erinnerung an Schmerzen wach.
Als ich so weit zur Besinnung gekommen war, dass ich die Augen öffnen konnte, entdeckte ich, dass sich einiges verändert hatte. Zum einen war das Tageslicht geschwunden, es gab nur eine dicke Kerze in einem Halter und die Schatten huschten wie scheues Getier in der Kammer herum. Auch war ich sauber und mein Brustkorb war fest mit breiten Leinenbandagen umwickelt. Zudem fühlte ich mich warm, richtig warm und trocken, obwohl die Luft in meinem Gesicht kalt wie ein Kuss der Schneekönigin war. Und meine Nase witterte einen Duft von Honig und Gewürz, den ich wiedererkannte. Heilsalbe.
Ich wandte den Kopf. Die Bewegung bereitete Schmerzen, und ich folgerte daraus, dass es nicht ratsam sein würde, mich auf den Ellbogen hochzustemmen. Auf dem Hocker neben dem Bett saß die junge Novizin, dieselbe, die mich zur Kammer geführt hatte. Als sie sah, dass ich mich bewegte, sprang sie auf, machte eine lächerliche Geste, die nur ›warten Sie hier‹ bedeuten konnte, und verschwand durch den Vorhang aus Segeltuch, der als Tür diente. Ich hatte kaum Zeit, mich zu fragen, wohin ich nach ihrer Meinung gehen könnte, als sie schon in Begleitung einer anderen Person zurückkehrte. Dies war eine kleinwüchsige, schmächtige Frau in einem bodenlangen Gewand. Ich musste zweimal hinsehen. Sie war nicht nur die erste Frau in weiblichen Kleidern, die ich seit jenem Bauernhaus östlich der Berge gesehen hatte, sondern sie hatte Ringellocken, die von einem mit Blumen bestickten Band aus der Stirn gehalten wurden und bewegte sich auch mit einem sanften weiblichen Hüftschwung, statt im klirrenden Marschtritt einherzuschreiten. Und das in einer Festung voll von weiblichen Soldaten.
Sie sah meine Überraschung und deutete sie richtig. »Nein, ich bin keine Ordensschwester«, sagte sie in munterem Ton. »Dank der Göttin habe ich ein Zuhause, wohin ich gehen kann.«
Sie sprach mit einem fremdartigen Akzent, der die Konsonanten scharf betonte. Aber sie befühlte meine Rippen mit sanften Fingern und schüttelte mitfühlend den Kopf, als ich scharf die Luft einsog. Die gebrochenen Knochen schienen aneinander zu reiben. Sie fühlte mir den Puls mit einer kühlen, trockenen Hand, sah mir prüfend ins Gesicht, dann legte sie mir die Hand an die Stirn.
»Hm«, machte sie. »Sie haben Fieber, das wir senken müssen und die Rippen werden noch viele Tage fest bandagiert bleiben müssen. Ich werde Ihnen Rinde gegen das Fieber geben, aber Sie werden nicht imstande sein, morgen zu reisen, und es ist bedeutungslos, was die Priorin sagt.«
Die Priorin, ja. Die Dame auf dem Burghof. Schwester Winterridges Vorgesetzte.
»Wie geht es Hubert?«, fragte ich nach einem Augenblick, als sie sich zum Gehen wandte. Das Atmen schmerzte, aber nicht mehr so stark.
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht sehr gut. Der Bolzen hat die Lunge verletzt. Aber er wird es machen. Dauert bloß einige Zeit. Und der andere - Eumas, nicht wahr? - hat einen bösen Schnitt im Oberschenkel und einige andere Platzwunden und Schnitte. Er muss den Blutverlust wettmachen, aber die Wunde ist jetzt genäht, und er wird durchkommen. Aber auch er wird diese Woche nicht reiten. Was haben Sie getan, dass Sie die Unterirdischen so zornig gemacht haben?«
Eine seltsame Frage. Ich suchte nach einer Antwort, aber mein Kopf war benebelt. »Ich nehme an, Sie hielten uns für unbefugte Eindringlinge, obwohl sie vermutlich die ganze Zeit über wussten, dass wir uns in ihrem Reich befanden, und wir beschädigten nichts. Auch griffen Sie uns erst im letzten Augenblick an, sozusagen…«
Das war richtig, sah ich jetzt. Sie hatten gewartet, bis wir beinahe freigekommen waren, und dann war plötzlich das Dunkel in ihnen erwacht. Silvus hatte es gewittert, und vorher war es nicht dagewesen. Es war sonderbar; aber dann drang die Bedeutung ihrer Frage in mein benebeltes Gehirn und ich vergaß, wie sonderbar es war.
Die Unterirdischen, hatte sie gesagt. Nannte man die Kobolde hierzulande so? Wollte sie damit sagen, dass wir sie verärgert und den Angriff
Weitere Kostenlose Bücher