Tenebra 1 - Dunkler Winter
hätte mir dort am Berghang ein Lungenfieber geholt.
Es gab nichts Besseres zu tun, als dem Wasserlauf zu folgen, und das taten wir ungefähr eine Meile weit, bis die Abenddämmerung kam. Wir hatten kaum etwas, um ein Lager aufzuschlagen, und beschlossen weiterzugehen, solange das Licht es erlaubte. Dann zischte Schwester Winterridge plötzlich durch die Zähne, bog vom Wasserlauf ab und kletterte zu einem Felssporn, wo sie Ausschau hielt, ohne zu beachten, dass ihre Silhouette sich verräterisch gegen den Abendhimmel abhob. Sie richtete sich auf, zog den Gürtel enger und nahm die Schultern zurück, bevor sie uns zu sich winkte.
»Dort«, sagte sie. Mit protestierenden Muskeln hatten wir uns auf ihren Fußstapfen schräg über den Schutthang zu ihrem Standort hinaufgemüht, und nun blickten wir in das tief eingeschnittene Tal hinab.
Dort verlief eine Straße neben dem Bach, und ein Stück weiter stand eine aus massiven Steinquadern errichtete Burg auf einem Vorsprung der jenseitigen Talhänge über der Straße, als wäre sie aus dem Berg gewachsen. Metall blinkte vom Wehrgang hinter den Zinnen und verkündete die Anwesenheit von Bewaffneten. Und auf dem Bergfried wehte etwas Blaues und Weißes vom Fahnenmast. Die Farben des Ordens.
»Sperrfeste«, sagte sie, und kein Wort mehr, als hätte sogar sie ihre Reserven so erschöpft, dass sie keinen Atem für überflüssige Bemerkungen mehr hatte. Sie nahm ihr Bündel und setzte den Abstieg fort, und wir folgten ihr, wie wir es die ganze Zeit über getan hatten, alle, die übrig geblieben waren.
KAPITEL XI
Ein felsiger Ausläufer über dem Tal war mit starken Bruchsteinmauern verstärkt und ausgebaut worden, und auf diesem Fundament hatte man die Burg errichtet. Die Steine waren dem unteren Talhang entnommen worden, um ihn steiler und für Angreifer ungangbar zu machen. Mein Verstand applaudierte dieser Verbesserung der natürlichen Stärke dieser strategisch günstigen Stellung. Mein Körper aber ächzte, als ich mich hinaufschleppte. Ein eckiger Bergfried im Inneren überragte die äußeren, zinnengekrönten Mauern. Die Steilheit des Geländes machte es fast unmöglich, eine Ramme oder andere Belagerungsmaschinen heraufzuschaffen. Man müsste zuvor eine Rampe aufschütten, was Monate in Anspruch nehmen würde.
Und dies war nur ein Vorposten, ein Außenwerk der Festung von Ys. Der Orden hatte nicht gespart, als es darum gegangen war, einen guten Festungsbaumeister zu verpflichten. Ich begann mich zu fragen, wie die Festung Ys aussehen mochte.
Man hatte uns kommen sehen, und ein Dutzend Schwestern des Ordens waren uns entgegengeritten, bevor wir die Holzbrücke am Talboden überqueren konnten. Nun bildeten sie eine berittene Eskorte für uns alle bis auf zwei, die ihre Pferde Hubert überlassen hatten, damit er auf einer Bahre getragen werden konnte.
Wir betraten die Sperrfeste zwischen den zwei vorgeschobenen Rundtürmen des Torhauses. Schmale Schießscharten flankierten uns. Ein Feind, der dieses Tor aufzusprengen suchte, würde im Kreuzfeuer aus den Scharten und von den Zinnen ein jämmerliches Ende finden. Wir passierten das massive Fallgitter und erreichten den Burghof, eine ungefähr viereckige Anlage mit Nebengebäuden entlang den Außenmauern. Auf dem Hof erwartete uns eine kleine Gruppe.
An ihrer Spitze stand eine eher kleine brünette Frau. Über ihrem Kettenhemd trug sie eine Halskette aus silbernen Rosen, verbunden durch ihre Stängel. Aufblickend, sah ich das Banner auf dem Bergfried von seinem Mast wehen: azurblau mit einer silbernen Rose. Das Wappen des Ordens.
Sie lächelte, als sie uns sah, und Schwester Winterridge ging auf sie zu und beugte ein Knie. Die ältere Frau trat näher, hob sie mit symbolischer Gebärde auf und umarmte sie. Es war eine Geste förmlicher Freundlichkeit, die zweifellos Teil eines festen Begrüßungszeremoniells war.
Dann wandte Schwester Winterridge sich zu uns um. »Priorin Merceda, darf ich vorstellen… Ser Eumas de Reave, Ser Silvus de Castro, Knappe Willan de Parkin und Raol Halvisson. Knappe Hubert de Clansi ist zur Krankenstube gebracht worden, wie Sie wissen.«
Ihre Vorgesetzte nickte. Sie hatte ein Lächeln für uns, und zugleich einen besorgten Blick. Tief liegende nussbraune Augen, schlau und abschätzend bei aller Höflichkeit. Und das Kettenhemd, das sie trug, diente nicht der Schau. Es war aus schwerem Gewebe und an Knien und Ellbogen durch Kniekacheln und Schwebescheiben verstärkt. Als sie
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