Tenebra 1 - Dunkler Winter
etwas wie dies hatte ich noch nicht gesehen… Oder doch? Schließlich war ich in Hoppelinmoor dabeigewesen, nicht wahr? Hatte die Schwertjungfrauen dort im Kampf gesehen. Warum kam mir dies neu vor?
Ich kniff die Augen zusammen und blickte sechs Jahre zurück. Ja, ich erinnerte mich, wie sie vorgegangen waren. Tapfer und diszipliniert, aber… nicht so. Sie hatten in einer festen Schlachtreihe gekämpft und ihre Stangenäxte wie Dreschflegel auf und nieder geschwungen, während sie im langsamen Schritt vorgerückt waren. Lücken in der Schlachtreihe waren von rückwärts aufgefüllt worden, wie es bei jeder disziplinierten Truppe gemacht wurde. Sie hatten gekämpft und gelitten und trotz aller Verluste durch Tapferkeit und hohe Moral bis zum Sieg durchgehalten. Hoppelinmoor war eine richtige Schlacht gewesen, blutig und voll unvorhergesehener Wendungen, die beide Seiten abwechselnd an den Rand der Katastrophe gebracht hatten. Aber sie hatten nicht wie in dieser Übung gekämpft. Ich kehrte in die Gegenwart zurück und beobachtete die fließende Beweglichkeit ihrer Manöver, die vollkommen abgestimmte Schnelligkeit aller Bewegungen, die im Laufschritt ausgeführt wurden. Nun verstand ich, warum sie beim Kettenpanzer geblieben waren, während alle anderen zu Rüstungen mit Helmvisier und Harnisch übergingen.
Dann wendeten sie sich paarweise individuellen Waffenübungen zu. Ich betrachtete ihre ritualisierten Zweikämpfe und begann an meiner Überzeugung zu zweifeln, dass Schwert und Schild einem Bihänder meistens überlegen sind. Diese Kämpferinnen kannten Kniffe, von denen ich noch nicht gehört hatte und mit denen ich am eigenen Leibe nicht Bekanntschaft zu machen wünschte.
»Wo haben sie dies gelernt?«, fragte ich, ohne meine Bewunderung zu verbergen.
Schwester Winterridge lächelte. Ich konnte es aus ihrer kühlen Stimme heraus hören. »Priorin Merceda. Sie kam vom Hoppelinmoor zurück und hatte erkannt, dass wir uns ändern mussten. Sie veränderte uns.«
Ich beobachtete die Übungen. Merceda und ihr Stab gingen langsam durch die Reihen, korrigierten hier eine Parade, dort die Beinarbeit.
Man erreicht einen so hohen Ausbildungsstand nicht ohne ständige Übung. Aber dies erforderte noch mehr.
Um diesen Standard zu erreichen, war eine wilde, zielstrebige Entschlossenheit erforderlich, die naturgegebene Unterlegenheit an Körperkraft und Ausdauer im Kampf durch vollkommene Disziplin, Körperbeherrschung und überlegene Kampftechnik auszugleichen und die Besten zu sein, die es je gegeben hatte, eine Weigerung, Kompromisse einzugehen, und eine Hingabe jenseits dessen, was einer Truppe gewöhnlich abverlangt werden konnte. Was Priorin Merceda mit der Erarbeitung und Einführung dieser Ausbildung geleistet hatte, zeugte von militärischem Genie, und ich verstand jetzt besser als zuvor, was ich sah.
Am folgenden Tag brachen wir planmäßig auf. Es war kalt, und die Heilerin machte sich um Huberts Bahre zu schaffen, um sicherzugehen, dass er gegen den scharfen Wind geschützt war.
Raol lenkte ein Fuhrwerk, aber Eumas und ich ritten, wir beide und Silvus in voller Rüstung - die ich wie Bleigewichte an mir fühlte.
Mein Reittier war ein kräftiger Wallach, ein Passgänger, der sich in allen Gangarten weich und fließend bewegte, dank der Göttin. Mit dem Banner der de Castros, das über meinem Kopf flatterte, und meinem grünen Überrock, der mein eigenes Wappen zur Schau stellte, sahen wir höchst eindrucksvoll aus. Ziemlich albern, aber dennoch eindrucksvoll.
Allerdings machte ich mir Sorgen um Eumas, mehr noch als um Hubert. Dieser war in körperlich schlechter Verfassung, während Eumas' Wunde fast vollständig verheilt war. Aber er war in einer qualvollen seelischen Verfassung.
Schon auf dem Weg über das Moor war er verschlossen gewesen und hatte über das Notwendigste hinaus kaum gesprochen. Seit wir Ruane verloren hatten, war er vollends in sich gekehrt. Ich hatte ihn in seiner Kammer aufgesucht und ihn dort vor der Schießscharte angetroffen, wo er mit ausdrucksloser Miene hinaus zu den Bergen spähte. Ich hatte versucht, ihn in ein Gespräch zu ziehen, und auch er hatte sich bemüht, glaube ich, aber ohne großen Erfolg.
Seine Rüstung passte ihm jetzt weniger gut. Er war gealtert. Graue Strähnen fielen in seinem Bart auf - wie alt war er, dreißig? Und in seinen eingesunkenen Augen sah ich einen Anflug von Resignation, der mir nicht geheuer war. Ich spürte, dass er nicht mehr nach Hause
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