Tenebra 1 - Dunkler Winter
gehen?«
»Sie werden sich zerstreuen, wie es scheint. Der Orden hat seit Jahren geheime Versorgungslager eingerichtet, um einen Guerrillakrieg zu unterstützen. Sie haben zum gleichen Zweck Hilfstruppen ausgebildet und bewaffnet - Männer, obwohl es ihnen unangenehm ist. Und sie setzen darauf, dass das Dunkel einen so großen Teil seiner Streitkräfte für die Belagerung von Ys brauchen wird, dass die Streitkräfte der Guerillas freie Hand haben werden.«
Er sagte es in nüchternem Ton, aber seine Augen wurden ein wenig schmaler. Als Strategie roch es für meine Begriffe ein wenig zu sehr nach alles oder nichts. Ich vermutete, dass er genauso dachte, doch würde er es nicht offen sagen. Das wäre unhöflich gewesen. Möglicherweise sogar illoyal. Ich würde selbst ein wenig herumschnüffeln müssen.
Am folgenden Morgen kroch ich frühzeitig aus dem Bett, um das Exerzieren der Garnison zu beobachten. Dies waren die Ordensschwestern, die Ausbildungskader, nicht die Novizinnen. Um ihre Formationen für Waffenübungen besser entfalten zu können, benutzten sie die Wiese zu Füßen des Hanges als Übungsplatz, und ich glaube, sie gingen das Programm nur durch, um sich in Form zu halten, weil sie die Übungen ohnedies jeden Tag mit ihren Schützlingen praktizierten.
Oder vielleicht taten sie es, um überalterte Pikeniere wie mich zu beeindrucken. Wenn es sich so verhielt, gelang es ihnen.
Pikeniere exerzieren für den Kampf in geschlossener Formation, bis sie wie Ziegel in einer Wand stecken. Das ist notwendig. Aber wenn eine Abteilung Pikeniere wie eine Wand steht, die nicht durchbrochen werden kann, hielten die Ordensschwestern sich an eine fließende Taktik. Sie bewegten sich im Trab, bemüht, den Feind zu überflügeln und einzuschließen. Die ersten Reihen hatten Rundschilde und Kurzschwerter und kämpften paarweise in Zweiergruppen; während eine deckte und verteidigte, griff die andere an. Auf ein Hornsignal zogen sie sich zurück, indem sie nach links und rückwärts auswichen, und aus dem dritten Glied gingen die Hellebardiere vor, um ihnen die Umgruppierung zu ermöglichen. Hinter dieser Linie zogen sie Wurfäxte aus Gürtelschlingen, griffen zu Pfeil und Bogen und sandten eine Salve über die Köpfe ihrer Schwestern, um die hinteren Reihen des Feindes zu treffen. Es war eine bewährte Taktik, die die Tiefe der feindlichen Formation gegen diese selbst wendete. Oft mit Erfolg.
Ich lehnte an einer Fichte, kaute auf einem Strohhalm und beobachtete sie mit dem Anschein gleichmütiger Distanz. Ein Hornsignal, und im Nu ordneten sie sich zur Abwehr eines Reiterangriffs, reckten die Hellebarden vor, um den Ansturm aufzuhalten, während die von rückwärts geschleuderten Wurfgeschosse und Pfeile die Sättel leeren sollten. Allerdings existierten die Reiter während dieser Übung nur in der Vorstellung, und ich bezweifelte, dass sie einem massierten Angriff gepanzerter Ritter mit eingelegten Lanzen auf ihren gleichfalls gepanzerten Schlachtrössern würden standhalten können.
»Gut. Sehr ordentlich.« Schwester Winterridge war von rückwärts zu mir gekommen. Ich nickte und bemühte mich, so streng und kriegerisch zu erscheinen, wie ich konnte.
Die Übung wurde geleitet von Priorin Merceda, flankiert von einer Fahnenträgerin und einer Hornistin. Die Priorin schien eine Menge von beweglicher Gefechtsführung zu verstehen und meine Achtung vor ihr wuchs. Ich hatte erwartet, dass sie gut sein würden. Wenn Schwester Winterridge als Beispiel dienen konnte, war daran nicht zu zweifeln. Aber dies übertraf meine Erwartungen.
Auf freiem Feld und bei vergleichbarer Gefechtsstärke würden Nathans Veteranen sich wahrscheinlich behaupten. Von den üblichen halb ausgebildeten Milizen wahrscheinlich keine. Die Wachsoldaten von Tenabra, die Silvus und ich in unseren besseren Tagen ausgebildet hatten, würden nach meiner professionellen Schätzung gerade so lange ausgehalten haben, um sich in die Hosen zu machen.
Natürlich konnte nicht von gleichen Kopfstärken ausgegangen werden. Wie viele Schwestern standen für den Kampfeinsatz zur Verfügung? Fünfhundert, vielleicht? Das entsprach einem durchschnittlichen Regiment. Fürst Nathan verfügte über fünfzehn Regimenter, dazu über viertausend Reiter und dreitausend Bogenschützen. In Friedenszeiten. Im Krieg konnte er die doppelte oder dreifache Zahl ins Feld schicken. Sogar noch mehr, wenn er es wirklich ernst meinte. Dazu ein Korps Pioniere. Und die Garde.
Aber
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