Tenebra 1 - Dunkler Winter
zurückkehren wollte.
Mit dem Soldatentum ist es so eine Sache. Von denen, die darin überdauern, sind einige dafür geboren und gedeihen darin in verschiedener Weise - wie Hubert, der die frische Luft und die körperliche Übung liebte und gern in der Welt herumkam, oder Barras in Tenabra, der seiner Natur nach einfach ein roher Schläger war. Manche gewöhnen sich daran, bringen es zu militärischer Tüchtigkeit und finden sogar Gefallen daran - wie ich. Einige tun es, weil sie es als eine Pflicht auffassen - wie Silvus. Und wieder andere, tapfer und treu, begreifen nie die beiläufige empirische Tödlichkeit des Soldatenberufes. Sie denken, dass es einen höheren Zweck und einen Sinn darin geben müsse. So einer war Eumas.
Aber beides ist selten offensichtlich. Wir geben unserem Handeln von Fall zu Fall einen Sinn. Ich wünschte, ich könnte ihm das erklären und ihm das Dasein damit erleichtern. Ich versuchte es. Aber es gelang mir nicht.
Wir ließen die Sperrfeste hinter uns. Es erinnerte mich an unseren Auszug aus Tenabra, obgleich es wichtige Unterschiede gab. Vor allem gab es keine jubelnde Bevölkerung, die begeistert ihre Mützen in die Luft warf. Weil die Burg zu wichtig und zu nützlich war, um sie vollständig aufzugeben, waren ein gutes Dutzend Ordensschwestern und ebenso viele Bedienstete zurück geblieben, aber das war alles. Sie verfolgten unsere Abreise von den Zinnen, und ihre Mienen wirkten ernst und angespannt. Es gab keine munteren Zurufe. Wenn das Dunkel käme, würde ihnen kaum eine Wahl bleiben. Entweder Flucht in die winterlichen, lebensfeindlichen Berge oder Tod in den Sklavenpferchen - in dem Wissen, dass ihre Körper ihnen nicht gehörten. Kein Wunder, dass sie still und mit versteinerten Gesichtern im Sprühregen standen und unsere Abreise beobachteten.
Langsam ging es die Kehren über den vom Regen schlüpfrigen Hang hinab und das Tal öffnete sich vor uns. Eine Meile blieb zurück; eine weitere; und hinter einer Wegbiegung fanden wir uns plötzlich zwischen bestellten Feldern und Viehweiden. Galeriewald begleitete den Fluss, und die zurückweichenden Hänge trugen einen dichten dunklen Mantel aus Bergfichten. Die Fuhrwerke waren leicht für ihre Gespanne, der Weg führte talab, und wir kamen gut voran. Bald zeigten sich die ersten Obstgärten, jetzt winterlich kahl, und kündeten von der Nähe menschlicher Siedlungen.
Wir ritten durch ein Dorf, das mehr ein Marktflecken war und um eine Brücke herum entstanden war, wo die Straße den Fluss nahe der Einmündung eines kleineren Gewässers überquerte. Einwohner kamen an die Türen ihrer einfachen, soliden Häuser, um uns vorbeiziehen zu sehen. Sie trugen warmes Wollzeug und widerstandsfähiges Barchent, das Gleiche wie die Leute, die draußen auf den Feldern arbeiteten. Brokat oder Samt waren nicht zu sehen, aber es ging auch niemand in Lumpen. Wenige Krüppel. Keine Bettler.
Wenn sie erfreut waren, uns zu sehen, gaben sie es nicht zu erkennen. Kein Applaus, keine Verbeugungen, keine gezogenen Mützen. Sie musterten uns ernst und schlau abwägend, als wollten sie unsere Kampfkraft einschätzen, und die Ordensschwestern, denen das Banner voranflatterte, ritten grußlos vorüber. In diesem Tal wurde jeder Fußbreit anbaufähigen Bodens landwirtschaftlich genutzt, ausgenommen die Auwaldstreifen am Fluss, die als natürlicher Hochwasserschutz dienten, und die Hangwälder der Berge, die Bau- und Brennholz lieferten und die Hänge vor Erosionsschäden schützten. Felder und Weideflächen waren durch Mauern aus lose aufeinandergelegten Lesesteinen voneinander getrennt.
Wir klapperten über die Brücke, und bald darauf änderte sich das Bild wieder. Die Straße entfernte sich vom Fluss und führte in ansteigenden Windungen in das Hügelland der Vorberge. Dann, nach einem weiten Bogen um eine vorgeschobene Bergschulter öffnete sich der Blick auf eine Ebene, und ich konnte mich ein wenig über die Vorstellung von ebenem Land wundern, die uns nach all dieser Zeit in den Bergen fremd geworden war. Bis zum fernen Horizont erstreckte sich die Ebene, grün und braun, gepflügtes Land und Wiesen, Gehölze und Dörfer und größere Waldstücke, freundlich und einladend im matten Licht. Silbrig glänzten die Schleifen eines Flusses, der von Norden kommend gemächlich durch die Ebene mäanderte, und weit im Westen bildete eine dunkle Linie den Horizont. Die See.
Und dort im Westen, in der dunstigen Ferne, wo See und Himmel und Ebene ineinander
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