Tenebra 3 - Dunkle Burg
nur vom Seufzen des Windes in den Ginsterbüschen unterbrochen wurde.
»In Ordnung«, sagte sie, und wir nahmen uns die Augenbinden ab.
Wir standen auf einem langen Höhenrücken über einem Tal, durch das ein Bach floss. Jenseits dieses Tales erhob sich ein weiterer Höhenrücken wie ein grüner Wall, durch dessen Flanke sich deutlich sichtbar ein Feldweg mit Wagenspuren zog. Ich blickte zurück. Hier musste ein Eingang der Unterirdischen sein, ich konnte aber keine Spur davon erkennen. Der Hügel sah aus wie alle anderen, langgezogen, unregelmäßig, gesprenkelt von Buschdickichten, zutage tretendem Fels und Heidekraut.
Arienne zeigte nach links, wo – nach der tief stehenden Sonne zu urteilen – Norden lag. »In der Richtung ist Neutal«, sagte sie. »Vier oder fünf Meilen. Wenn wir uns beeilen, können wir morgen früh dort sein.«
Silvus und Schwester Berichterstatterin tauschten Blicke. Die Schatten waren lang; bald würde die Abenddämmerung anbrechen. Der Mühlweg hatte uns in einem Tag drei Tagereisen weit gebracht. Und wir hatten geschlafen.
»Gut«, meinte Silvus. »Und Sie glauben, Eile sei nötig?«
»Ja«, erwiderte Arienne mit gepresster Stimme. »Wenn sie sich erholt und die Unterirdischen besticht, bevor wir dorthin kommen, sind sie verloren. Das Dunkel wird sie und das Mädchen korrumpieren.«
Schwester Berichterstatterin nickte. »Und wir müssen mit Nathans Streifabteilungen rechnen«, sagte sie.
Silvus grunzte und beschleunigte seinen Schritt. Er hört auf vernünftige Argumente, von wem sie auch kommen mögen. Wir hatten uns bereits in Marsch gesetzt. Nun liefen wir den Hang hinunter, überquerten von Stein zu Stein springend den Bach, stiegen auf der anderen Seite zum Fahrweg hinauf und folgten ihm.
Nachtmärsche waren mir nichts Neues, und oft hatte ich sie unter schlechteren Bedingungen als diesen machen müssen. Die Nacht war nur ein wenig feucht. Vor Mitternacht gingen zwei Regenschauer nieder, später klarte dann der Himmel auf. Der Fahrweg war kaum zu verfehlen, zwei bald mehr, bald weniger ausgefahrene Radfurchen und ein mit Gras und Kraut bewachsener Mittelstreifen, der sich durch das Buschland zog und insgesamt einen etwas nordöstlichen Kurs nahm, wie ich anhand der Leitsterne feststellte. Wir folgten der Richtung der Höhenzüge und kamen auf dem fast ebenen Weg gut voran.
Wir wanderten im Gänsemarsch dahin, ohne zu sprechen. Sobald wir uns auf dem Fahrweg befanden, bestand keine Notwendigkeit, Spuren zu verwischen. Doch hatten wir sorgsam darauf geachtet, sie dort zu verwischen, wo wir auf den Fahrweg gestoßen waren. Und Arienne konnte Nachtvögel und Tiere in den Dickichten benutzen, um uns Kundschafterdienste zu leisten. Das erlaubte sie, solange sie die Tiere nicht zwingen oder täuschen musste. Das Dunkel wirkt dadurch, Dinge zum eigenen Vorteil zu verbiegen und zu verändern. Denkprozesse, Körper, die Natur. Es verändert nicht die Natur einer Eule oder Wildkatze, wenn man durch ihre Augen einen Berghang oder ein Tal überblickt. In der Nacht tätige Jäger tun dies ohnehin; Arienne ritt einfach huckepack auf ihnen, ohne sie zu beschweren.
So konnten wir zügig marschieren, zumal der Fahrweg die nassen, morastigen Stellen umging und allzu steiniges, abschüssiges Gelände mied. Die Nacht war vom Sternenlicht matt erhellt und still bis auf das leise Seufzen und Rascheln des Windes, und der Mond ging frühzeitig unter.
Nathan musste mit seiner Hauptmacht mehrere Meilen südlich von uns stehen. Seine Kundschafter und Streiftrupps würden das Vorhandensein dieses Fahrwegs, der vor dem Pass nordwärts abzweigte, mit Sicherheit sehen und melden, und er mochte geneigt sein, seinen weiteren Verlauf zu untersuchen. Früher oder später würde er Posten aufstellen und Streiftrupps aussenden. Wir mussten vor ihnen dort sein. Das war ein weiterer Grund, unnötige Aufenthalte zu vermeiden.
Die Nacht näherte sich ihrem Ende, als wir die ersten Felder von Neutal erreichten, frisch gepflügtes Land, auf dem noch Steine verstreut lagen, das so nicht für mehr als Bohnen und Erbsen und Rüben geeignet schien. Aber es war fruchtbarer Boden in einem sich weitenden, recht ebenen Tal, und in ein paar Jahren würde es hier gute Weiden und Kornfelder geben. Wir wanderten zwischen den Ackerflächen dahin, als die Frösche unten beim Wasser ihre letzten Chöre anstimmten.
Ein Haus – eher eine Hütte – kam am Wegrand in Sicht. »Wir werden uns erkundigen müssen«, sagte
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