Tentakel-Trilogie 2: Tentakeltraum
machte ihn wütend. Er fühlte, wie die Magensäure in Wallung geriet und an seinen beiden Geschwüren rieb, Schmerz und brennende Übelkeit erzeugte. Mechanisch griff er zu seiner Pillendose und schob sich zwei hochwirksame Tabletten in den Mund, die den Ausbruch der Geschwüre zu verhindern wussten. Er kaute und schluckte, blickte in sein frisch rasiertes Gesicht und wartete, bis die Medikamente ihre Wirkung taten, ehe er es wagte, wieder an die Verleihung zu denken.
Der Admiralstab hatte ihn förmlich gezwungen, das Direktorium hatte darauf bestanden, die Medien hatten es lautstark gefordert … es gab Mächte, denen auch ein Oliver Sikorsky nicht gewachsen war. Und so hatte er sich einer alten Weisheit erinnert, die da sagte, anstatt einem Sturm zu begegnen, sollte man elastisch und flexibel in seinem Wind schwanken, dann würde man nicht brechen und habe die Kraft, wieder zurück zu schwingen. So hatte Sikorsky es getan: Alles akzeptiert, falsch gelächelt, seine Gegner durch seine konziliante, ja verzeihende Art getäuscht und überrascht, und im Geheimen vorbereitet, was das Ärgernis aus seinem Umfeld beseitigen, wahrscheinlich für immer töten und dabei auch noch etwas Sinnvolles tun würde.
Sikorsky gestattete sich ein knappes Lächeln. Freude lag nicht darin, aber so etwas wie die gefährliche Zufriedenheit eines erfolgreichen Raubtiers. Er würde es ihnen allen zeigen, und seine Gegner, allen voran Geheimdienstchef Suchowka, als ob er das nicht längst geahnt hätte! … würden erneut überrascht sein.
Sehr unangenehm überrascht.
Das Lächeln auf Sikorskys Lippen wurde noch eine Spur breiter, als er sich mit dem Kamm über das Haar fuhr. Nein, so kam er zu dem Schluss, die weißen Strähnen gaben ihm ein distinguiertes Aussehen. Er würde sie lassen, zumindest bis auf weiteres. Jeder auch nur allerkleinste psychologische Vorteil würde ihm nützen.
Und dann würde er wieder das erlangen, was er am meisten erstrebte: Kontrolle.
Sikorsky zupfte seine Uniform zurecht. Makelloses Erscheinen gehörte zu seinen absoluten Grundprinzipien, und immer dann, wenn seine Kontrahenten schwitzend, in schlecht sitzenden Uniformen oder Anzügen, mit wirr auf der Stirn verteiltem Haar und feuchten Händen vor ihm saßen, während er ein Abbild tadelloser Sauberkeit und Selbstbeherrschung war, hatte er jeden Konflikt im Grunde bereits gewonnen. Die verhängnisvolle Tendenz des Menschen, sich allzu sehr auf Äußerlichkeiten einzulassen, anstatt sich auf Taten und die richtige Wahl der Worte zu konzentrieren, hatte Sikorsky schon mehrmals erfolgreich ausgenutzt. Es war eine Methode, die er zur Perfektion entwickelt hatte. Selbst Suchowka, der Chef des Marinegeheimdienstes, und ein Mann mit großer schauspielerischer Begabung, konnte ihm nicht das Wasser reichen. Dennoch, gerade Suchowka wollte Sikorsky auf keinen Fall unterschätzen. Die Tatsache, dass Sikorsky die Warnungen Suchowkas bezüglich der drohenden Invasion nicht ernst genommen hatte, war die erste größere Niederlage des Stabschefs seit vielen Jahren gewesen. Sikorsky vergaß derlei nicht, auch nicht, wer sie ihm beigefügt hatte, ob nun absichtlich oder in gutem Glauben, zum Wohle der Sphäre gehandelt zu haben. Im Falle des Geheimdienstchefs, den Sikorsky schon lange im Verdacht hatte, insgeheim an seinem Stuhl zu sägen, war dies unstrittig. Natürlich, es gab eine Bedrohung, und Sikorsky musste sich eingestehen, hier falsch geurteilt zu haben. Aber ebenso selbstverständlich hatte Suchowka diese genutzt, um seine eigenen Machtspielchen zu befördern. Sikorsky beschloss, den Mann ganz genau im Auge zu behalten. Ein zweites Mal würde er dem so harmlos aussehenden Offizier sicher nicht auf den Leim gehen!
Der Oberkommandierende betrachtete sich ein letztes Mal im Spiegel. Alles war perfekt. Der kurze Selbstzweifel, die Kritik am eigenen Äußeren, alles verblasste vor der dynamischen und machtvollen Erscheinung, die ihm da in der Reflektion begegnete. Sikorsky war sich sicher, jeder Herausforderung gewachsen zu sein, ob Tentakel oder Mensch.
Dann wandte er sich abrupt ab und verließ seine Haus. Fahrer und Gleiter warteten bereits auf ihn. Er würde direkt zum Paradeplatz der Offiziersakademie fahren, dem Ort, an dem Lieutenant Jonathan Haark nicht nur zum Capitaine befördert werden, sondern auch die höchste Tapferkeitsauszeichnung der Sphäre erhalten würde.
Und das aus den Händen seines größten Feindes.
Wahrlich kein angenehmer Tag für
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