Tentakel-Trilogie 2: Tentakeltraum
Admiral Oliver Sikorsky.
Es regnete noch nicht. Es war der kühle Nebel, der sich durch den Uniformkragen bis in seine Unterwäsche fraß, der ihn schaudern ließ. Ein einsamer Tropfen Kondenswasser hatte sich am unteren Rand seiner Schirmmütze, direkt vor seinen Augen, angesammelt und wollte und wollte nicht herunterfallen. Er zitterte bei jeder Bewegung und wuchs in unendlicher Langsamkeit, hatte alle Geduld der Welt. Exakt die Geduld, die Jonathan Haark aufzubringen hatte, und sein Vorrat ging erkennbar zur Neige.
Haark stand vor der Mannschaft der Admiral Malu . Die Helden der Menschheit, angetreten in Reih und Glied, in ihren Galauniformen, die exakt für diesen Anlass neu angeliefert worden waren, mitten auf einem endlos erscheinenden Exerzierplatz. Es herrschte eine unnatürliche Stille, obgleich man so einiges hören konnte, wenn man zuhören wollte. In der Nähe der Tribüne baute ein Blasorchester der Flotte die Instrumente auf, geschützt durch das ausladende Vordach, unter dem auch die Ehrengäste Platz nehmen würden.
Die Tatsache, dass die Befehle die Mannschaft der Malu erkennbar zu früh auf den Platz beordert hatten, um hier endlos lange im kalten Morgennebel eines düsteren Herbsttages zu stehen und zu bleiben, wertete Haark als weitere Schikane Sikorskys. Er wusste, dass es dem Oberbefehlshaber nicht behagte, seinen Männern und ihm heute Ehrungen zuteil werden zu lassen, die diese seiner Ansicht nach nicht verdient hatten.
Haark warf einen Blick auf Beck. Der neue Capitaine, ebenfalls just befördert, wirkte noch etwas linkisch in seiner frisch gepressten Uniform mit den neuen Insignien. Eine Beförderung um zwei Dienstgrade verhinderte, dass Beck wieder direkt mit Haark würde dienen können, der um einen Grad ebenfalls zum Capitaine erhoben worden war. Die Tatsache, dass er endlich einen Rang erreicht hatte, der seinem Alter zumindest ansatzweise entsprach, machte ihn nicht glücklich. Es war eine späte, im Grunde zu späte Genugtuung, und wären die Umstände andere, hätte er wohlmöglich seinen Abschied eingereicht. Doch diese Option stand ihm nun nicht mehr offen.
Wenn Sikorsky die Absicht gehabt hatte, in die Mannschaft einen Keil zu treiben, indem er den Ersten Offizier schneller und weiter beförderte als den Kommandanten der Malu , so hatte er sich gründlich geirrt. Beck hatte es verdient und Haark wusste, dass er einen ausgezeichneten kommandierenden Offizier machen würde. Der Flurfunk sprach bereits von einem neuen Kreuzer für Beck. An Schiffen gab es keinen Mangel. Der Angriff der Tentakel hatte zu einer gigantischen Entmottungsaktion geführt und die Personaldecke in der Flotte wurde immer dünner. Dass die Gerüchteküche noch nichts über Haarks neue Verwendung auszusagen hatte, verwunderte diesen gar nicht. Er war sich sicher, dass Sikorsky sich für ihn etwas ganz besonderes ausgedacht hatte.
Das war auch in Ordnung so. Haark hatte im Arbedian-System genug mitgemacht, um vom Sinn dieses Krieges überzeugt zu sein. Sikorsky würde ihn nicht an irgendeinem Schreibtisch verschwenden, er würde ihn dorthin schicken, wo es ihn am ehesten erwischte. Damit erfüllte er, ohne es zu wissen, Haarks größten Wunsch. Die Berichte, die von jenen Systemen eintrafen, die durch eine glückliche Fügung noch einen Nachrichtentorpedo hatten entsenden können, als die Tentakel ihre Bodenoffensive begonnen hatten, waren ein wildes Durcheinander gewesen, meist zusammenhanglose, von Panik erfüllte Meldungen von Zivilisten. Aber sie sprachen, bei allem Mangel an Details, von unsagbarem Horror, ohne dass man im Einzelnen nachvollziehen konnte, worauf dieser – jenseits der Schrecken der Invasion, die schlimm genug waren – nun basierte. Horror, dem auch das System ausgesetzt war, jene einzelne Welt am Rande der Irdischen Sphäre, die Terra der Obhut der Admiral Malu überantwortet hatte. Haark empfand Bitterkeit, übte aber keine Selbstkritik. Er wusste, dass sie getan hatten, was möglich gewesen war, mehr als viele andere in vielen anderen Teilen der Sphäre.
Und dennoch. Und dennoch.
Und dennoch.
Gäste trudelten auf der Ehrentribüne ein. Sie hielten Gläser und kleine Teller mit Appetithäppchen vom Buffet in den Händen. Haark vermutete, dass für seine Männer anschließend nicht mehr allzu viel übrig sein dürfte, wenn sich die Ehrengäste jetzt schon bedient hatten. Er ließ seinen Blick über die Gesichter der Angetretenen schweifen und erkannte in ihren Zügen die
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