Tentakel-Trilogie 3: Tentakelsturm
Rakete. Es war, als sei es nicht wichtig, wen oder was er treffe, wie schnell oder wie langsam er dabei vorgehe und wie glücklich oder unglücklich es den Flüchtenden gelang, sich seiner Zerstörungskraft zu entziehen. Es war wohl diese abgehobene, kalte, überhebliche, alles dominierende Ignoranz, die wie die Unnahbarkeit absoluter Überlegenheit wirkte, die Tooma in ihren Bann gezogen hatte. Wenn sie in die glühende Hölle weit über ihr starrte, die sich auf sie herabsenkte, konnte sie sich in diesem Anblick verlieren – und vergessen, dass ihre eigene Existenz auf dem Spiel stand. Sie riss sich nicht von diesem Bild los.
Sie wurde fortgerissen, als Sporcz sie anstupste, nicht sanft, sondern fest, fordernd, auffordernd. Fast unwillig schaute Tooma zur Seite, blickte in das besorgte Gesicht des Offiziers und erkannte, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Abrupt wandte sie sich ab, schaute nicht mehr nach oben, und folgte dem Mann die Rampe hinauf.
Als sie fast oben war, begann sich die große Zugangsluke bereits hinter ihr zu schließen.
Rahel blinzelte, fand in die Realität zurück und verbannte das Bild des nahenden Unheils aus ihren Gedanken. An Reihen von geflohenen Soldaten, die sich so eng wie möglich an die Wände pressten, bahnte sie sich ihren Weg vorbei in die Zentrale. Auch hier saßen viele Kämpfer auf dem Boden zwischen den Kontrollen und versuchten, leise zu sein und sich so klein wie möglich zu machen. Dennoch dauerte es einige Momente, bis sich Tooma ihren Weg bis zu ihrem Sessel gebahnt hatte.
»Beschleunigen Sie das MGZ!«, befahl sie sofort, und unmittelbar danach nahm das Fahrzeug Geschwindigkeit auf. Die Tentakelscharen hatten sich fast völlig zurückgezogen, und so rumpelte das Gefährt über das pockennarbige Schlachtfeld, zermalmte Tentakelleichen unter den mächtigen Ballonreifen und entfernte sich dabei immer weiter vom Verteidigungsring und dem Hauptquartier. Es würde nicht wirklich viel nützen, wenige Hundert Meter zu gewinnen, aber es beruhigte die Flüchtlinge, die den Schutzmechanismen des mobilen Geschützstandes möglicherweise nicht richtig trauten. In Bewegung zu sein, dazu noch von einer Gefahr fort, hatte immer eine beruhigende Wirkung, und so hatte Rahel den Befehl gegeben.
»Einschlag in zwei Minuten!«, meldete Sporcz, der es auch bis zu seinem Platz gebracht hatte. »HQ meldet vollständigen Verschlusszustand. Lediglich zwei Bunkereingänge werden bis 20 Sekunden vor Einschlag offen gehalten.«
Ursprünglich hatten die Befehlshaber im Hauptquartier diese auch verschließen wollen, doch Tooma hatte zu diesem Thema deutliche Worte gefunden. Da sie diese über den offenen Kanal ausgesprochen hatte, sodass alle mithören konnten, hatte man eingelenkt, nicht zuletzt, um von jenen, die es in die Bunker geschafft hatten, anschließend nicht gelyncht zu werden. Die grimmige Befriedigung, die Tooma empfunden hatte, war schnell der Sorge um jene gewichen, die es nicht schaffen würden, so oder so. Viele.
Zu viele.
Doch sie konnten nichts mehr für sie tun.
Rahel blendete ein Bild aus, das sich auf ihrer Konsole zeigte: einige Soldaten, die rufend und ihre Waffen schwenkend dem davoneilenden MGZ hinterherliefen, mit Verzweiflung und Bitten in den Gesichtern. Sie würden es schnell aufgeben, sich in einen Schützengraben werfen, die Helme geschlossen, die Körper auf den Boden gepresst, dem sicheren Tod durch die Druckwelle, die glühende, verflüssigte Erde, die fliegenden Trümmer oder anderen Primär- und Sekundäreffekten ausgeliefert. Tooma wusste, dass sie feige war. Sie sollte diesen Menschen in die Augen sehen. Sie um Entschuldigung bitten, um Absolution, die sie sicher niemals erhalten würde. Aber sie schaltete die Kamera aus. Und niemand hielt sie davon ab. Keiner wollte es zu sehen bekommen, niemand sich schuldig dafür fühlen, überlebt und es rechtzeitig geschafft zu haben. Die Schuld der Überlebenden war manchmal größer als die Schuld jener, die ein Unglück verursacht hatten, und sei es nur in der eigenen Wahrnehmung. Tooma wusste, dass auch sie sich damit auseinandersetzen musste, wenn es an der Zeit war, oder wenn sie Zeit hatte, sich darüber Gedanken zu machen.
»Einschlag in einer Minute«, meldete Sporcz, der auch nichts Besseres zu tun wusste, als den Zeitpunkt der Katastrophe herbeizuzitieren. Tooma warf ihm einen bedeutsamen Blick zu, den er richtig interpretierte. Keine weiteren Zeitangaben.
Das MGZ ruckelte etwas, als es über eine
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