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Tentakelwacht

Tentakelwacht

Titel: Tentakelwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van den Boom
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knutschende Pärchen und feiernde Jugendliche; die Cafés und Kneipen waren bereits zu dieser Zeit gerammelt voll. Es herrschte Volksfeststimmung, doch unter alledem lag der Unterton von Verzweiflung und Ratlosigkeit, die Flucht in den schnellen Rausch, das letzte bisschen Spaß vor dem großen Knall, an dem alles enden würde. Es war, als würde jeder spüren, dass sie mit geborgter Zeit lebten und dass der Gläubiger in Kürze seine Schulden eintreiben würde, und das auf höchst unbarmherzige Art.
    Roby konnte diese Hysterie gut verstehen, er wollte aber nicht von ihr angesteckt werden. Er wies die Avancen zahlreicher junger Frauen ab, die keine Hemmungen mehr zu haben schienen. Er wanderte durch dieses ausgelassene Treiben mit der kühlen Distanz eines Beobachters. In sich fühlte Roby durchaus ein gewisses Verlangen nach Entspannung und Vergessen, aber alles, was in den letzten Tagen passiert war, beschäftigte ihn noch zu sehr. Er konnte nicht so einfach verdrängen und vergessen, stellte er mit Überraschung fest. Das war eine fast schon intellektuelle Attitüde, und die hatte er bis dahin an sich noch nicht festgestellt.
    Er kam schließlich in irgendeiner Seitengasse an einem kleinen Laden vorbei, einem Geschäft, das Waffen, Campingausrüstung und Survivalkits verkaufte. Das Waffengeschäft lief sicher schlecht, jetzt, wo die Regierung freigiebig an jeden Schießeisen verteilte. Survivalkits hatten sich eine Weile ganz hervorragend verkauft, aber irgendwann war auch dieser Markt von Resignation und Fatalismus erfasst worden.
    Roby aber hielt eine Menge davon, seine Überlebenschancen zu erhöhen, und wenn auch nur inkrementell. Er hatte eine Menge Bargeld in der Tasche und es war ihm nicht danach, es in Alkohol oder Härteres umzusetzen. Und er hatte die Erlaubnis, seine offizielle Ausrüstung um beliebige private Gegenstände zu erweitern, wie alle Soldaten sie mittlerweile genossen. Der Regierung war jede Methode recht, den Bodycount bei den Tentakeln zu erhöhen, egal, ob durch privat erworbene oder offiziell verteilte Munition.
    Tot war tot.
    Einem Impuls folgend, betrat Roby den engen Laden. Er stand voller alter Regale, auf denen sich so viel Krempel türmte, dass der Eindruck eines Antiquitätengeschäftes erweckt wurde. Etwas ziellos spazierte er die Auslage entlang, bis ihm ein Messer in die Augen fiel, mit einer relativ schmalen, beidseitig geschliffenen Klinge, die einen ungemein scharfen Eindruck machte. Es lag leicht in der Hand und verfügte über eine Kunststoffscheide, die ebenfalls kein Gewicht zu haben schien . Die Klinge war gut 20 cm lang. Das Messer war im Notfall sogar als Waffe einsetzbar.
    »Schneiden Sie etwas damit. Die Klinge besteht aus einer speziellen Legierung, die Sie kaum nachschärfen müssen, und sie durchschneidet fast alles. Nicht berühren – sonst fließt sofort Blut!«
    Die Stimme war scheinbar aus dem Nichts gekommen. Roby drehte sich um und sah in ein bekanntes Gesicht. Die schmale, weibliche Person neben ihm, heute gekleidet in einen Tarnanzug der Streitkräfte, von denen viele in den Umlauf gekommen waren, sah ihn freundlich lächelnd an. Sie nickte ihm zu, und Roby wusste nicht, ob das ebenfalls ein Erkennen war oder nur die übliche Freundlichkeit einem potenziellen Kunden gegenüber.
    Das war die Frau, die ihm die Einladung zur Sitzung dieser sehr, sehr seltsamen Sekte gegeben hatte. Wahrscheinlich erinnerte sie sich nicht an ihn. Sie musste viele dieser Zettel verteilt haben.
    Sie hielt ihm ein Blatt Papier hin. Er nahm es und ließ die Klinge sanft darübergleiten. Das Papier wurde mit gleicher Sanftheit durchschnitten. Ohne um ihre Erlaubnis zu fragen, schob Roby das Metall über einen der Holzböden des vor ihm stehenden Regals. Es war bereits voller Kerben, also war er offensichtlich nicht der erste Kunde, der so etwas tat. Wieder glitt die Klinge mit Leichtigkeit durch das Hartholz.
    »Beeindruckend, nicht wahr?«
    Roby konnte nicht anders, als zuzustimmen.
    »Für 200 gehört sie Ihnen, inklusive Scheide. Ich hätte auch noch eine passende Pflegetinktur, die Sie nach heftigem Gebrauch auftragen können. Reicht ewig, nur weitere 10.«
    Roby wog die Klinge erneut in der Hand. 210 in bar war etwa die Hälfte des Bonus, den er mit seiner Auszeichnung bekommen hatte. Ein hoher Preis, selbst zu diesen Zeiten. Aber das Messer hatte etwas. Eine bessere Investition als jede Menge Bier und leichte Mädchen.
    Er nickte. »Ich nehme sie.«
    Die Verkäuferin

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