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Teranesia

Titel: Teranesia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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aufgewacht wäre. Daher konnte er nicht unbedingt davon ausgehen, dass es etwas Unbekanntes war.
    Er stand in der Dunkelheit und horchte, wie das Flugzeug näher kam. Was hat es zu bedeuten, wenn es so niedrig fliegt? Wenn er loslief und seine Eltern weckte, würde niemand wissen wollen, was er angestellt hatte. Seine Bauchschmerzen hatten ihn geweckt, mehr musste er nicht sagen.
    Das Dröhnen wurde lauter und plötzlich tiefer. Prabir blieb wie gelähmt stehen, während er sich Bomben vorstellte, die durch die Luft stürzten, dem Ziel entgegen, worauf sich das Flugzeug schnell entfernte. Doch nichts geschah, während die Triebwerke wieder leiser wurden. Nur die Frösche riefen im Dschungel.
    Prabir hätte beinahe vor Erleichterung aufgelacht, doch der Laut blieb ihm in der Kehle stecken. Vielleicht hatte die Schrift sie gerettet, die Farbe, die sich von der Wärme der Dachkollektoren abhob, grün auf schwarz in der Falschfarbendarstellung eines Infrarotsuchers. Aber wenn das Flugzeug ein ganz anderes Ziel hatte, wenn Teranesia für den Piloten nur ein flüchtiges landschaftliches Detail war, dann konnten die Bomben trotzdem noch in dieser Nacht fallen. Auf irgendeine andere Insel.
    Prabir starrte in die Dunkelheit und spürte einen dumpfen Schmerz im Brustkorb. Wieder legte er die Hand in den Käfig und setzte die Suche fort. Diesmal war er erfolgreich: Seine Fingerspitzen streiften einen Kokon. Dadurch wurde er in Pendelbewegungen versetzt, aber der seidene Faden, an dem er hing, war widerstandsfähig. Prabir wartete, bis die Schwingungen nachließen, dann schloss er vorsichtig die Hand um die Puppe, deren Oberfläche sich kühl und glatt wie Schellack anfühlte.
    Er wusste nicht genau, wie viel Schweiß auf seiner Handfläche gewesen war, und er wollte auf keinen Fall versuchen, auch seine linke Hand in den Käfig zu stecken – dazu hätte er sich verrenken und auf neue Hindernisse Acht geben müssen. Er stand eine Weile völlig reglos da und prägte sich die Position der Puppe ein. Dann zog er die Hand zurück, tränkte sie gründlich und verabreichte dem schlafenden Insekt eine zweite, wirksamere Dosis des Gifts.
    Dann schloss er den Käfig und verließ die Hütte auf demselben Weg, auf dem er hereingekommen war. Verspätet fiel ihm ein, in die Hocke zu gehen, um zu überprüfen, ob er Fußspuren hinterlassen hatte. Doch auf seinem Weg hatte er hauptsächlich Grasflächen überquert, sodass er sich weder durch Abdrücke im Erdboden noch sichtbare Schmutzspuren in der Hütte verraten haben konnte.
    Als er sich wieder in seine Hängematte legte, fühlte er sich körperlich erschöpft, als wäre sein nächtlicher Ausflug anstrengender gewesen als seine halbe Besteigung des Vulkans. Doch die Ereignisse in der Schmetterlingshütte kamen ihm bereits unwirklicher als ein Traum vor. Da er das Verbrechen gar nicht gesehen hatte, würde es ihm leichter fallen, ein unschuldiges Gesicht zu machen, wenn die Folgen bekannt wurden. Wenn der Zeitpunkt gekommen war, dass der vergiftete Schmetterling nicht schlüpfte – oder seine Flügel ausbreitete und im Sonnenlicht verendete –, wäre längst jede Erinnerung an das schwache mentale Bild seiner Hand im Käfig verblasst.
    *
    Prabir kehrte mit Madhusree auf den Armen vom Strand zurück, als er einen lauten, dumpfen Knall aus der Richtung des Kampungs hörte. Es klang fast wie ein umstürzender Baum, aber ohne das Kreischen zerreißenden Holzes und ohne das Rauschen der Äste.
    Madhusree warf ihm einen fragenden Blick zu, drängte aber nicht nach einer Erklärung, da sie durchaus in der Lage war, sich eine eigene zu erfinden. Sie alle würden es während des Abendessens zu hören bekommen: Wahrscheinlich gab es ein neues Geschöpf auf der Insel, das herumstapfte und nach essbaren Kindern suchte.
    Dann hörte Prabir seine Mutter in nacktem Entsetzen schreien. »Rajendra!« Madhusree schien verwirrt, dann schürzte sie die Lippen. Prabir stellte sie ab. »Bleib hier.« Dann rannte er zum Kampung. Madhusree schrie ihm wortlos nach, bis er sich umdrehte und sah, wie sie verzweifelt mit den Armen wedelte. Er hielt an und blickte unschlüssig zurück. Was war, wenn auch hier Gefahr drohte? Wenn das Flugzeug Soldaten mit Fallschirmen abgesetzt hatte, konnten sie überall sein.
    Er lief zu ihr zurück und hob sie wieder auf. Sie krallte ihre Fingernägel in seine Wangen und schlug mit ihren Fäustchen gegen seinen Hals, während ihr Rotz und Tränen über das Gesicht liefen. Prabir

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