Teranesia
ignorierte ihre Attacken und ihr Gewicht und setzte seinen Weg Richtung Kampung im Dauerlauf fort. Es war wie in einem Traum; der Dschungel rauschte an ihm vorbei, aber es war weder Willenskraft noch körperliche Anstrengung nötig, um sich vorwärts zu bewegen. Allein der Traum trieb ihn voran.
Seine Mutter stand allein mitten im Kampung. Sie war außer sich und blickte sich um, als würde sie nach etwas suchen. Als sie Prabir sah, schlug sie sich mehrere Male mit der Faust gegen die Stirn und schrie ihn wütend an: »Bring sie weg von hier! Sie darf es nicht sehen!«
Prabir hielt verwirrt am Rand des Kampungs an und kämpfte gegen die Tränen. Wo war sein Vater? »Was ist geschehen? Ma?«
Seine Mutter starrte ihn an, als wäre er ein Idiot. »Wo ist die Leiter?«, wimmerte sie. »Was hast du mit der Leiter gemacht?«
Prabir konnte sich nicht erinnern. Er hatte sich vorgenommen, sie in die Lagerhütte zu bringen, nachdem sie mit dein Beschriften der Dächer fertig geworden waren. Aber dort hätte sie bestimmt zuerst nachgesehen.
Er trat unsicher vor. »Ich helf dir suchen.«
Seine Mutter versuchte ihn mit verzweifelten Gesten zu verscheuchen, dann lief sie im Kreis umher.
Madhusree schrie, hatte ein knallrotes Gesicht und versuchte sich seinen Armen zu entwinden. Prabir lief zur Hütte seiner Eltern hinüber und legte sie in ihr Bettchen. Sie war groß genug, um über die Einfassung klettern zu können, wenn sie es unbedingt wollte, aber auch klug genug, um zu verstehen, dass sie dabei einen schmerzhaften Sturz riskierte. Prabir ging in die Knie und drückte sein Gesicht gegen die Gitterstäbe. »Ich bin bald wieder zurück, das verspreche ich. Zusammen mit Ma. Okay?« Er wartete nicht auf eine Antwort.
Er fand die Leiter im Gebüsch hinter der Schmetterlingshütte, wo er sie zuletzt benutzt hatte. Er balancierte sie in einer Hand und lief zu seiner Mutter zurück; die Leiter war nicht besonders schwer, aber sie schlug seitlich aus, während er lief, und brachte ihn immer wieder aus dem Gleichgewicht.
»Wohin soll ich sie bringen?«, rief er nervös. »Wo ist Baba?«
Sie starrte ihn eine ganze Weile mit leeren Blick an, dann legte sie eine Hand auf den Mund und schloss die Augen. Prabir beobachtete sie reglos und spürte, wie seine Haut eiskalt wurde.
Als sie die Augen wieder öffnete, wirkte sie bereits etwas gefasster.
»Baba hat sich verletzt«, sagte sie leise. »Ich brauche deine Hilfe. Aber du musst genau das tun, was ich dir sage.«
»Das werde ich«, versprach Prabir.
»Warte hier.« Sie verschwand in der Lagerhütte und kam mit zwei leeren Holzkisten zurück. »Hör mir genau zu. Ich möchte, dass du mir im Abstand von fünf Metern folgst. Nimm genau denselben Weg wie ich und tritt keinen Schritt zur Seite. Bring die Leiter mit, aber pass auf, dass sie nicht den Boden berührt.«
Prabir hörte leise Zweifel in ihrer Stimme, als wäre sie besorgt, dass sie vielleicht zu viel von ihm verlangte. Er antwortete entschlossen: »Ich gehe fünf Meter hinter dir. Auf demselben Weg, den auch du gehst. Und die Leiter darf nicht den Boden berühren.«
Sie lächelte widerstrebend. »Gut. Ich weiß, dass du nicht dumm bist, ich weiß, dass du vorsichtig sein wirst. Kannst du für mich auch tapfer sein?« Sie blickte ihm forschend in die Augen, und Prabir spürte, wie sich sein Brustkorb zusammenzog.
»Ja.«
Sein Vater lag in einem flachen Krater mitten im Garten hinter der Lagerhütte. Seine Beine sahen furchtbar aus, sie waren regelrecht zerfetzt. Dunkles Blut quoll aus seinen Schenkeln und sickerte durch eine Sandschicht, die offenbar nach der Explosion auf ihn herabgeregnet war. Seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht war von Schmerzen gezeichnet. Prabir war viel zu schockiert, um weinen zu können, und als er spürte, wie sich seiner Kehle ein wimmerndes »Baba!« entringen wollte, verschluckte er es, bevor er einen Laut von sich geben konnte.
Seine Mutter sprach beinahe flüsternd. »Ich bin wieder da, Liebling. Es wird nicht mehr lange dauern.« Sein Vater gab nicht zu erkennen, ob er ihre Worte gehört hatte.
Sie wandte sich Prabir zu. »Im Garten könnten noch mehr Minen sein. Also werden wir die Leiter über die Kisten legen, wie eine Brücke. Dann werde ich zu Baba hinübergehen und ihn holen. Hast du verstanden?«
»Ich kann es machen, ich bin leichter«, sagte Prabir. Die Leiter bestand aus Aluminium, und er befürchtete, dass sie unter dem Gewicht zweier Erwachsener nachgeben
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